Trump im historischen Kontext

Heute besteigt Trump den Thron – er wird als 45. Präsident der USA vereidigt. Mit Trump beginnt eine neue Ära. Hiesige Politiker klagen, er sei unberechenbar. Genau das ist er nicht.

Treten wir zurück und blicken auf die großen Entwicklungslinien. Der Zweite Weltkrieg machte die USA endgültig zur Supermacht auf der Welt. Bis in die 1960er Jahre waren Innen- und Außenpolitik des „Westens“ unter Führung der USA geprägt davon, sich gegen den „Ostblock“ aufzustellen. In dieser Zeit großen wirtschaftlichen Wachstums verbreiterte sich die Einkommens- und Vermögensverteilung, der Anteil der hohen Einkommen sank vorübergehend. Schließlich kam es der Politik auch darauf an, dass die Bevölkerung per eigenem Portemonnaie daran glaubte, dass der „Westen“ besser ist als der „Osten“.

Das mit Ende des Zweiten Weltkriegs etablierte Währungssystem von Bretton Woods gab den äußeren Rahmen für die Zusammenarbeit des Westens. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam es in vielen Ländern der westlichen Hemisphäre jedoch zu einer wirtschaftlich problematischen Phase, der große Wachstumsschub nach Kriegsende ebbte ab. Keineswegs zufällig kam eine neue volkswirtschaftliche Theorie in Mode – der „neoliberale“ Friedman bereitete gegen die nachfrageorientierte, staatliche Eingriffe befürwortende Theorie von Keynes den Weg.

Mit der Beendigung des Bretton Woods Systems brach nach 1971 eine Zeit an, die ganz unter dem Stern der Freizügigkeit des internationalen Kapitalverkehrs stand. Es begann die moderne Globalisierung mit zunehmender Dominanz des Finanz-Systems. David Harvey ordnet in seinem Buch „Kleine Geschichte des Neoliberalismus“ diese Wende dem alleinigen Zweck zu, die Macht einer gesellschaftlichen Elite wiederherzustellen, die befürchtete, ihre Privilegien könnten nachhaltig beschnitten werden.

Sie brachte auch neue internationale Konstellationen mit sich. Die Gestaltungsspielräume der Nationalstaaten wurde immer kleiner, es begann u.a. über sinkende Unternehmenssteuern ein Wettlauf um Standort-Vorteile. Der vor dem Zweiten Weltkrieg üblicherweise von den Nationalstaaten geführte Kampf um Privilegien, die Verteilung von Rohstoffen und Absatzmärkten in der Welt fand immer mehr in Form der Konkurrenz zwischen multinationalen Konzernen und den dahinter stehenden Banken statt.

Auf der Ebene des gesellschaftlichen Bewusstseins brachte die kapitalseitige Durchlässigkeit der Grenzen und die sinkende Bedeutung der Nationalstaaten auch eine gewisse Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Ländern mit sich. Ganz allgemein waren die Wölfe eher im Schafspelz unterwegs. Es etablierte sich insgesamt ein (oft nur an der Oberfläche) liberaleres gesellschaftliches Klima.

So lange die Globalisierung einen deutlich zunehmenden Wohlstand zeitigte, wurde den Emerging Markets ein Anteil daran zugestanden. Das machte die politischen Verhältnisse in diesen Ländern stabiler – die Logik dahinter war dieselbe wie die, die nach dem zweiten Weltkrieg der Bevölkerung einen größeren Anteil am Kuchen zubilligte. In den 1990er Jahren traten dann jedoch die ersten größeren Krisen auf – zuerst brach die Wirtschaft in Japan ein, dann folgten Krisen in Lateinamerika und in Asien. Zu viel internationales Kapital führte zu Wachstumsblasen. Mit der dotcom-Blase kam es schließlich zu einer ernsten Krise in den industrialisierten Ländern. Alles zusammen waren das deutliche Anzeichen, dass die 1971 angestoßene Ära der "modernen" Globalisierung an ihre Grenzen läuft.

Mit der Deregulierung vieler Branchen gegen Ende der 1990er Jahre und insbesondere der Deregulierung der Bankensysteme wurde der Nachbrenner gezündet. Der ließ viele daran glauben, die Ära stabilen Wachstums ginge immer so weiter. Die per Immoblien-Boom erneut aufgepumpte Wachstumsblase platzte in der Finanzkrise 2008. Seitdem ist es offenkundig, dass es mit den goldenen Jahren vorbei ist. Der zu verteilende Wachstums-Kuchen wächst immer weniger und damit wird die Auseinandersetzung um den verbleibenden Rest schärfer.

Zunächst begann aber kein Wettlauf zwischen den Nationalstaaten um Pfründe und Absatzmärkte auf der Welt. Diese Rolle übernahmen die Zentralbanken, indem sie durch geldpolitische Maßnahmen die eigenen Währungen zu schwächen suchten. So sorgte die QE-Politik der Fed noch bis in das Jahr 2014 hinein dafür, dass der Dollar schwächelte. Japan verfolgt mit den Abenomics seit Ende 2012 ebenfalls das Ziel, die eigene Währung zu schwächen. Seit Mitte 2014 ist die EZB dran, der Euro verlor im Zuge ihrer QE-Vorhaben zügig an Wert und bleibt bis heute schwach.

Die Vormachtstellung der USA und die damit verbundene herausragende Rolle des Dollar wendet sich nun, ohne weitere, Dollar-schwächende Maßnahmen der Fed, allmählich gegen die internationale Wettbewerbsstellung der US-Industrie. Der Dollar wird immer stärker, vagabundierendes US-Kapital kehrt zurück, es findet „auswärts“ nicht mehr genügend lohnende Anlage.

Mit Trump tritt der Wettlauf um Anteile am immer weniger zunehmenden Wohlstandskuchen in eine neue Phase. Er zieht los mit der Parole „Make America great again“. Für ihn zählen keine überkommenen Bündnisse, alles kommt auf den Prüfstand. Entscheidend ist nur noch, was den USA möglichst kurzfristig möglichst große Vorteile bringt. Von der politischen Ausrichtung her bedeutet das einen Rückfall in merkantilistische Gepflogenheiten, als Nationalstaaten den Boden für ihre Unternehmen bereiteten. Mit Trump wird somit auch eine Gegenbewegung gegen die Entmachtung der Nationalstaaten eingeläutet.

In den zurückliegenden Jahren wurden, noch in der Tradition der Globalisierung, Freihandelsabkommen etabliert, die einerseits die relative Bedeutungslosigkeit der Nationalstaaten festschreiben und andererseits je nach Lesart die Pfründe des internationalen Großkapitals schützen oder ausbauen sollten. Trump hat folgerichtig angekündigt, diese entweder aufzukündigen oder bilateral neu zu verhandeln mit dem Ziel der einseitigen Ausrichtung auf die Interessen des amerikanischen Großkapitals.

Der neuen nationalstaatlichen Ausrichtung entspricht auf der Ebene des gesellschaftlichen Bewusstseins eine kulturelle und soziale Abschottung – auch das eine Gegenbewegung gegen die von der Globalisierung begünstigte Öffnung gegenüber anderen Ländern und anderen Kulturen. Abschottung und Frontbildung wird typischerweise von reaktionären Politikern geschürt, um Widersprüche und Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung zu neutralisieren. So lange das noch gelingt, wird die Zeit genutzt, um den Staatsapparat gegen zu erwartende innere Konflikte aufzurüsten. Trump findet da gute Voraussetzungen vor, schließlich wurde unter seinem Vorgänger die unter Bush begonnene Ausspähung der Bevölkerung systematisch ausgeweitet.

Die Wachstumsschwäche seit den frühen 2000er Jahren hat viele Ursachen. Die Demographie spielt ebenso eine Rolle wie die sich deutlich auftuenden Grenzen der Globalisierung und der hohe Verschuldungsgrad. Hinter den beiden letzt genannten Faktoren steht meiner Meinung v.a. die sinkende Produktivität der seit einem halben Jahrhundert bestimmenden Basisinnovation, der Elektronik.

Die Theorie von Kondratieff macht lange Wirtschaftszyklen von rund 60 Jahren Dauer aus, die jeweils von bestimmten Basisinnovationen geprägt werden. Wir befinden uns heute in der vierten und letzten Phase eines von der Elektronik getriebenen Zyklus. Typisch dafür ist: Innovationen sind nur noch inkrementeller Natur, etablierte Technologien werden verbessert, billiger gemacht und weiter verbreitet. Konsolidierung ist das zentrale Stichwort in der Wirtschaft. Zu den Merkmalen einer solchen Phase gehört auch, dass allmählich radikale Töne das politische und soziale Geschehen bestimmen. Etablierte politische Bündnisse scheitern immer häufiger, es entstehen in rascher Folge neue Konstellationen. Damit nimmt auch die Gefahr eines größeren Krieges zu. Das passt alles zur aktuellen Situation.

Die Wohlstandsverteilung hat sich im Laufe der Finanz-System gesteuerten Globalisierung extrem ungleichmäßig entwickelt. Insbesondere die mittleren Einkommen in den entwickelten Ländern haben seit über zwei Dekaden an der Wohlstands-Entwicklung nicht mehr teilgenommen. Hier liegt die soziale Basis für rechtspopulistische, gegen einen demokratischen Diskurs gerichtete politische Strömungen.

"Trump" ist nicht einfach irgendein US-Präsident. Er markiert einen Wendepunkt in der Epoche seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Wölfe legen ihre Schafspelze ab. Das färbt auch auf das gesellschaftliche Klima ab.

Die Globalisierung stößt an ihre Grenzen, der globale Verteilungskampf wird härter und offen merkantilistisch ausgetragen – dafür steht Trump. Dies geht im gesellschaftlichen Bewusstsein einher mit sozialer und nationaler Ausgrenzung, sowie Abwendung von demokratischen Grundsätzen. Trump steht für mannigfaltige Wendepunkte, eines aber bleibt – die Dominanz der Finanzindustrie. Trump ist keine amerikanische Erscheinung – er ist eine Blaupause für eine weltweite Entwicklung. Es liegt an uns, ob daraus Realität wird.

Nachtrag:
(21.1.17) In Frankfurt kamen über 2000 Menschen zum "Women's March" zusammen – Teil einer weltweiten Bewegung für die Rechte von Frauen und Minderheiten, sowie für gesellschaftliche Vielfalt. In der US-Hauptstadt Washington sollen mehr als 500.000 Menschen demonstriert haben. Die treffendste Parole in Frankfurt gegen das Trump'sche "Make America great again" war "Make America think again".
Nachtrag:
(30.1.17) Die Zeit hat's auch schon gemerkt: "Welch eine Ironie! Die Wirtschaftspolitik von Donald Trump ist vor allem ein Selbstbereicherungsprogramm für die alten Eliten".

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