2016: Terror, Kontrollwahn, Gefühle

Seit den Anschlägen auf das World-Trade-Center im September 2001 bestimmt der von US-Präsident Bush erfundene „War on Terror“ unser gesellschaftliches und politisches Leben. Neue Aktualität bekommt er durch den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember. Es war zu erwarten, dass der Staat nun weiter in Richtung allumfassende Kontrolle trommelt.

Jeder, der durch einen solchen Anschlag stirbt oder sonstwie zu Schaden kommt, ist einer zu viel. Das gilt genauso für jeden, der im Krieg oder Bürgerkrieg Schaden erleidet. Oder der ungerechterweise ins Gefängnis kommt, interniert, gefoltert wird. Setzen Sie das mal alles ins Verhältnis zueinander und fragen sich dann noch einmal, wie gefährlich diese Art Terrorismus wirklich ist. Klar, wehret den Anfängen – richtig. Aber wie?

Die wirkliche Gefahr dieses Terrorismus besteht darin, dass er zum Anlass genommen wird, unsere Gesellschaft zu verändern. Unser Staat gibt vor, die Demokratie gegen den Terror zu verteidigen – indem er sie vorsorglich abschafft?

Nach 2001 wurde die flächendeckende Überwachung der Bevölkerung massiv ausgebaut. Vorreiter auch hier die USA – Stichwort NSA. Unter Obama wurde das fortgesetzt, was unter Bush eingeleitet wurde. Parallel dazu wurden und werden überall in der Welt wichtige demokratische Rechte ausgehöhlt.

In Umfragen stimmen immer mehr Bürger z.B. dem Ausbau der Video-Überwachung zu. „Ich fühle mich dann sicherer,“ heißt es. Gängige Meinung zum staatlichen Kontrollwahn ist zudem: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Mag sein, dumm ist das Argument trotzdem.

Wir sind dabei, etwas zu verlieren, wofür andere vor uns hunderte von Jahren gekämpft haben. Nein, wir verlieren es nicht einfach, wir lassen zu, dass es uns schleichend entzogen wird.

Auf bürgerlichen Freiheitsrechten beruht unsere Staatsform, sie sind die Klammer, die uns in dieser Gesellschaft zusammenhält. Sind sie für uns so sehr zum Normalzustand geworden, dass wir uns nicht fragen, wie es ohne sie wäre?

„Ich habe nichts zu verbergen.“ Mag sein. Aber folgt daraus, zuzulassen, dass der Staat alles über uns sammelt, was er kriegen kann? Wenn Sie aufs Klo gehen, machen Sie ja auch die Türe zu. Oder lassen Sie die Wohnungstür auf, weil Sie ja nichts zu verbergen haben? Warum kleben Sie den Briefumschlag zu und liefern keine Kopie bei der nächsten Polizeistelle ab? Aber E-Mails soll der Staat archivieren und bei Bedarf lesen dürfen? Und wissen können, wer mit wem wann telefoniert? Oder wer wo im Internet surft? Oder…

Es macht Ihnen nichts aus, überall nachvollziehbare Spuren zu hinterlassen? Ach ja, Sie haben ja nichts verbergen. Mit diesen Spuren kann bei Bedarf ein wirklichkeitsnahes „Profil“ von Ihnen konstruiert werden. Wie gut das funktioniert, können Sie z.B. hier nachlesen (aktualisierter Link): Dort geht es um eine Methode, Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. Raten Sie mal, wer sich das zunutze gemacht hat? Trump.

Der Staat ist „eigentlich“ die Institution, die sicherstellt, dass wir im Rahmen dieser bürgerlichen Freiheiten leben können. Seine Rolle ist die eines Wächters und Bewahrers, nicht die eines Bewachers. Der Staat ist auch kein Vater, der seine Kinder, die Bürger, umsorgt, erzieht und daher in gewissem Umfang Anspruch auf Kontrolle hätte.

So weit die Theorie. In der Praxis sind wir längst beim „Bewacher“ angekommen. Der Staat verspricht uns ein rundum-Sorglos-Paket, dafür müssen wir dann eben, bitteschön, auch unseren Beitrag leisten. Wir haben uns daran gewöhnt, gegenüber dem Finanzamt „gläsern“ zu sein. Und wir werden seit „9/11“ daran gewöhnt, dass uns der Terror bedroht. Und weil das angeblich so ist, müssen wir eben zulassen, dass „Vater Staat“ alles umfassend kontrolliert. Die technischen Möglichkeiten gibt es, sie müssen nur noch immer stärker angewendet werden. Dazu müssen noch ein paar Gesetze geändert werden. Zur Not macht Brüssel die Vorgaben, dann kann Berlin eben ("leider") nicht anders.

Unterstellen wir, unser Staat ist wohlmeinend und will nur das Beste. Er sammelt und sammelt, bekommt ein immer klareres Bild über jeden einzelnen Bürger. So lange alles gut läuft und Sie weiterhin nichts zu verbergen haben, merken Sie nichts davon. Aber dann ändert sich was. Merkel & Co können nicht ewig am Ruder bleiben, vielleicht werden auch die Zeiten schlechter, das Leben erfordert Einschnitte. Es kommen andere Politiker an die Macht – vielleicht sogar demokratisch gewählt. Ihre Daten stehen denen nun auch zur Verfügung.

Wir hatten einen solchen „demokratischen“ Machtwechsel schon einmal. Die NSDAP kam mit parlamentarischer Mehrheit an die Macht. Und hat alsbald begonnen, ihre Gegner „einzusammeln“.

Heute, mit den über alle Bürger angehäuften Informationen, ist das ein Kinderspiel. In den von der Vorgängerregierung gesammelten Daten ist auch Ihre politische Einstellung verzeichnet, dort steht vielleicht, dass Sie die neuen Politiker ablehnen. Es wird Ihnen dann nicht viel helfen, wenn Sie sagen, ich habe nichts zu verbergen. Sie haben auch nichts zu verbergen. Nicht mehr.

Heute ist ein radikaler Machtwechsel unmöglich? Mit Trump wird ein Reaktionär zum nächsten US-Präsident. Schauen Sie genau hin, was er auf der Ebene der demokratischen Rechte tut, was er mit den von der NSA gesammelten Daten anstellt.

Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit vor Terror-Anschlägen und sonstigen Unglücken, Angstgefühle sind aber ein ganz schlechter Ratgeber. Es gibt auch keine 100-prozentige Gewissheit, dass jemals eine Regierung die gesammelten Daten zu Ihrem Nachteil verwendet. Aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr viel höher als Null, und sie ist umso höher, je weniger wir uns darum kümmern, was mit unseren Freiheitsrechten geschieht und ob wir dem Kontrollwahn des Staates freien Lauf lassen. Vor allem hier müssen wir den Anfängen wehren.

Ergänzung:
Eng verbunden mit der Einschränkung demokratischer Rechte ist auch der "War on Cash", dem Versuch, den Gebrauch von Bargeld einzuschränken, bzw. zu verbieten.

Nachtrag:
(10.1.17) Dieser Artikel bei Heise befasst mit wichtigen Aspekten der Videoüberwachung: "Videoüberwachung und Demokratie"

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