BVG erlaubt vorläufige Anwendung von CETA

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Eilverfahren entschieden, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, vorläufig angewendet werden kann. Die endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren wird sich mit der Frage befassen, ob CETA ganz oder teilweise verfassungswidrig ist. Geklagt hatten mehr als 125.000 Bürger, es war die bis jetzt größte Bürgerklage vor dem BVG.

Bei der gestrigen Entscheidung ging es formal lediglich um eine Folgenabwägung – sind die Nachteile der vorläufigen Anwendung des Abkommen größer als die eines sofortigen Stopps. Der Bundestag hat bisher nicht endgültig über CETA beraten.

Die Richter des BVG haben drei Bedingungen formuliert, die der Bundesregierung einige Vorgaben machen bei der vorläufigen Anwendung. Bundeswirtschaftsminister Gabriel sieht in diesen Vorgaben kein größeres Problem, die Gegner des Abkommens sehen einen wichtigen Teilerfolg erreicht.

Die erste Bedingung sieht vor, dass die Bundesregierung in dem für kommende Woche geplanten Beschluss des EU-Ministerrats über die vorläufige Anwendung von CETA sicherstellt, dass dieser sich nur auf die Bereiche erstreckt, „die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen“. Die Regelungen etwa zum Investitionsschutz, insbesondere dem geplanten Schiedsgerichtssystem, zu Portfolioinvestitionen, zum internationalen Seeverkehr und zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen, sowie zum Arbeitsschutz müssen ausgenommen werden.

Mal abwarten, welche Hintertür sich Gabriel ausdenkt… Einer der Kläger-Vertreter, der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano, sieht erhebliches Interpretationspotenzial, weil umstritten ist, um welche Teile des Abkommens es sich dabei handelt. Würde man das Urteil genau genau nehmen, müssten laut Fischer-Lescano auch Finanzdienstleistungen, nachhaltige Entwicklung, Arbeit und Umwelt, die Streitbeilegung, die Herstellungspraxis für pharmazeutische Produkte und das geistige Eigentum von der vorläufigen Anwendung ausgenommen werden. „Für all diese Bereiche fehlt der EU die unstreitige Kompetenz“, sagt Fischer-Lescano. „Wenn man das ernst nimmt, bleibt für die vorläufige Anwendung kaum noch etwas übrig.“

Die zweite Bedingung: Ceta sieht -auch bei vorläufiger Anwendung- einen „Gemischten Ausschuss“ vor, der Inhalte des Abkommens einseitig konkretisieren oder modifizieren kann. Die Verfassungsrichter verlangen, dass dieser Ausschuss ohne einen gemeinsamen, einstimmigen Standpunkt des Ministerrates keine Beschlüsse fassen darf. Damit bestünde faktisch ein Vetorecht der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich nachträglicher Änderungen der CETA-Bestimmungen.

Die dritte Bedingung: Die Bundesregierung darf der vorläufigen Anwendung von CETA nur zustimmen, wenn sie diese auch wieder einseitig beenden kann. Damit soll vermieden werden, dass die Bundesrepublik an die vorläufige Anwendung von Ceta selbst dann gebunden ist, wenn das BVG im späteren Hauptsacheverfahren einzelne, mit der vorläufigen Freigabe von CETA in Kraft getretene Bestimmungen als verfassungswidrig beurteilt.

Die EU-Kommission sieht in einer ersten Stellungsnahme dieses einseitige Beendigungsrecht als das Detail des Karlsruher Urteils mit den weitrechendsten Konsequenzen an, weil möglicherweise dafür auch die bisher gefassten Beschlüsse des EU-Ministerrats rückwirkend angepasst werden müssen. Das BVG hält eine einseitige völkerrechtliche Erklärung der Bundesregierung für ausreichend, um diese Bedingung sicherzustellen.

Mit dem Urteil des BVG sind zunächst einmal enge Grenzen für die vorläufige Anwendung von CETA gesetzt worden – das ist gut, auch wenn es natürlich besser gewesen wäre, wenn das BVG in seiner Gesamtbeurteilung weitergegangen wäre und die vorläufige Anwendung untersagt hätte. Denn schon diese hebelt demokratische Prizipien auf nationaler Ebene aus, die Zustimmung der Parlamente wird zur Farce. Und dann rufe ich mir noch ins Gedächtnis, wie das BVG im Verfahren über das OMT-Programm der EZB zunächst die Backen aufgeblasen hat und nach dem Urteil des EuGH eingeknickt ist. Und ich komme zu dem Schluss: „Die Botschaft hör’ ich wohl – allein mir fehlt der Glaube“.

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Karrikatur von Klaus Stuttmann

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