EU – von Anfang an daneben

Die Wellen um den Brexit schlagen hoch. Viele Argumente der Anhänger der "Leave"-Bewegung sind lächerlich und lassen an ihrer geistigen Verfassung zweifeln. Auch wenn Populisten und Separatisten in vielen EU-Ländern immer mehr Zulauf bekommen – es gibt es gute Gründe, die gegen die EU in ihrer jetzigen Form sprechen.

Das politische Trilemma der Globalisierung zeigt meiner Meinung nach zu Recht auf, dass „Hyperglobalisierung“ (weitgehende wirtschaftliche Integration), demokratische Prinzipien und nationale Souveränität zusammen unvereinbare Oberziele sind. „Hyperglobalisierung“ kann zusammen mit der Beachtung demokratischer Prinzipien unter Verzicht auf nationale Souveränität erreicht werden ODER unter Beibehaltung der nationalen Souveränität der beteiligten Länder bei gleichzeitiger Unterordnung demokratischer Aspekte.

Der erste Weg führt über eine (weitgehende) Aufgabe der nationalen Souveränität und die Ausdehnung demokratischer Strukturen auf die nächsthöhere Ebene, die eines Zusammenschlusses der beteiligten Länder. Auf Europa übertragen würde das bedeuten, die einzelnen Nationalstaaten geben ihre Unabhängigkeit weitgehend auf, ihre Bürger wählen ein europäisches Parlament mit vollen Rechten (also z.B. auch mit dem Initiativrecht, das das aktuelle EU-Parlament nicht hat). Dieses Parlament wählt eine Regierung, die von diesem kontrolliert wird.

Die zweite Alternative versucht, Vereinheitlichung und nationale Souveränität zusammenzubringen. Voraussetzung hierzu ist auf wirtschaftlicher Ebene zumindest die „Goldene Zwangsjacke“, also eine restriktive, einheitliche staatliche Ausgabenpolitik, die Deregulierung von Import und Export, sowie ein transparenter Finanzmarkt.

Demokratische Prinzipien werden in diesem Kontext nur so lange beachtet, wie sie dem übergeordneten Ziel eines ungehinderten Handels nicht entgegenstehen. Zudem werden durch dessen Primat mit fortschreitender wirtschaftlicher Integration auf längere Sicht die Spielräume der Nationalsstaaten immer weiter ausgehöhlt, so dass letzten Ende nur eine leere Hülle der nationalen Souveränität übrig bleibt.

Die EU beschreitet diesen zweiten Weg. In den europäischen Verträgen sind die Prinzipien der „Goldenen Zwangsjacke“ festgelegt, u.a. gibt es dort eine Grenze für die Staatsverschuldung. Dagegen wurde und wird in Serie verstossen. Mittlerweile gibt es keine gleichberechtigten Länder mehr – es gibt die Kreditoren im Norden und die abhängigen Schuldner im Süden. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass mit dem Euro eine gemeinsame Währung geschaffen wurde, ohne zumindest die Fiskalpolitik unter einheitlicher Regie zu betreiben – überschuldete Länder haben keine Möglichkeit, ihre Probleme über Wechselkurse abzufedern. Sie geraten dadurch in noch stärkere Abhängigkeit. Eine solche Situation ist auch keine Basis für einen fairen Handel.

Bis zum Jahre 2004 gab es noch die Chance, dass die EU auf den ersten, zumindest demokratischeren Weg hätte zurückkommen können. Damals wurde der EU-Verfassungsvertrag beschlossen, der nach und nach per Zustimmung in nationalen Referenden zu geltendem gesamt-europäischen Recht werden sollte. In Frankreich und in den Niederlanden wurde die europäische Verfassung jedoch 2005 abgelehnt. Daraufhin wurden keine weiteren Referenden in anderen Ländern mehr durchgeführt und stattdessen 2007 der Vertrag von Lissabon beschlossen, der zwar Teile der EU-Verfassung übernimmt, im Gegensatz zum Verfassungsvertrag den EU- und EG-Vertrag aber nicht ersetzte, sondern lediglich abänderte. Damit war auch eine äußerst komplexe Rechtsgrundlage geschaffen worden, die den herrschenden Kreisen in der EU eher mehr als weniger Gestaltungsspielraum gibt.

Da die Völker Europas offensichtlich nicht bereit waren (und sind), ihre nationale Souveränität aufzugeben, wurde von der EU der zweite Weg weitergegangen. Das ist gleichbedeutend mit der Aufgabe wichtiger demokratischer Prinzipien, was sich u.a. in einem kastrierten Parlament und in einer EU-Kommission zeigt, die nicht demokratisch gewählt, sondern in dubioser Weise von den Regierungen der Nationalstaaten eingesetzt wird. Zudem fallen wesentliche Entscheidungen innerhalb der Untergliederung „Eurozone“ in einem Zirkel der europäischen Finanzminister, deren Sitzungen nicht öffentlich sind und auch nicht protokolliert werden. EU-„Vordenker“ Juncker, der aktuelle Kommissionspräsident, sagte dazu: „Nichts sollte in der Öffentlichkeit geschehen. Wir sollten in der Euro-Gruppe im Geheimen diskutieren. (…) Die Dinge müssen geheim und im Dunkeln getan werden.

Am Ziel der weiteren Vereinheitlichung wird eisern festgehalten, auch hier getreu einem taktischen Motto von Juncker, der 1999 sagte: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein zurück mehr gibt.“

Die Spielräume der Nationalstaaten werden auf diese "klammheimliche" Art immer weiter ausgehöhlt, obwohl kein beteiligtes Volk dem zugestimmt hat. Das ist zutiefst undemokratisch.

Die EU wird in ihrer jetzigen Form an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gehen. Die Unvereinbarkeit von Demokratie, nationaler Souveränität und weitgehender (wirtschaftlicher) Vereinheitlichung führt zu immer größeren Problemen, die im gegebenen Rahmmen nicht lösbar sind. Die EU auf dem eingeschlagenen Weg bedeutet eine „Diktatur“ einer kleinen Gruppe nicht demokratisch legitimierter Personen, die über das Schicksal Gesamt-Europas entscheiden. Sie vertreten dabei v.a. die Interessen der großen Konzerne und der großen Finanzinstitute, die am meisten von einem ungehinderten Handel innerhalb des EU-Gebildes profitieren. Dies werden die Bürger langfristig nicht durchgehen lassen, weil es zu ihrem Nachteil ist.

Dass die EU auf dem eingeschlagenen Weg umkehrt, halte ich für ausgesprochen unwahrscheinlich. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass die Völker Europas einen solchen Weg eines Tages in Volksabstimmungen billigen werden. Die Brexit-Entscheidung war hierfür ein Zeichen, auch wenn viele Argumente der Vertreter der „Leave“-Bewegung hanebüchen waren und durchaus Zweifel an der geistigen Kompetenz ihrer Wähler aufkommen lassen. Die zentrifugalen Kräfte in vielen anderen Ländern der EU sind nicht zu übersehen. Sie kommen zwar zum Teil im Gewand eines Nationalismus und Separatismus von vorgestern daher, ihre Grundlage liegt aber meiner Meinung nach darin, dass die EU auf dem eingeschlagenen Weg unfähig ist und bleibt, den europäischen Bürgern zu zeigen, dass dieser zum Wohle aller ist.

Ich wundere mich, wie die Verfechter einer EU nach heutigem Zuschnitt über die permanenten Vertragsverletzungen seitens der europäischen Institutionen einschließlich EZB und der Mitgliedsstaaten hinwegsehen können. Solche Rechtsbrüche sind per se undemokratisch, schaffen kein Vertrauen, führen zu Beliebigkeit derjenigen, die an der Macht sind. Diese Verfechter sind damit Claqueure für eine Entwicklung in Richtung immer mehr Anti-Demokratie.

Die nationale Souveränität ist keine ahistorische, eherne Form. Sie wandelt sich im Laufe der Geschichte. In Europa haben sich, häufig in Kriegen mit den Nachbarn, zahlreiche große und kleine Nationalstaaten herausgebildet. Insofern hatten es die USA leichter, sich in einer demokratischen Staatsform zu vereinheitlichen, sie hatten „lediglich“ den Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten zu überwinden. In Europa existieren ungleich mehr Nationalitäten. Deren Integration ist eine Aufgabe im Zeitraum von Generationen.

Für mich stehen die demokratischen Rechte oben an und dann kommt erst einmal lange garnichts. Danach kommt die nationale Souveränität und erst dann kommt der Freihandel. Aus diesem Primat der Politik ergibt sich für mich als Wirtschaftskonzept eine Marktwirtschaft mit hohem operativen Freiheitsgrad in einem festen Ordnungsrahmen – und damit sicher kein laissez-faire-Modell eines Freihandels im Sinne der aktuellen Globalisierung (siehe z.B. hier!).

Die große Gefahr in der nächsten Zeit ist, dass rechte bis faschistische Gruppierungen das Versagen der EU und die undemokratischen Machenschaften ihrer Führer für Massenbewegungen nutzen können. Ihre soziale Basis ist ein Kleinbürgertum, das sich von Deklassierung bedroht sieht. Das birgt Konfliktpotenzial bis hin zum Wiederaufflammen historischer, nationaler Konflikte auf dem Gebiet der EU, der Friedensnobelpreisträgerin 2012.

Ergänzung:
Ein kleiner Einblick in die Bürokratie in Brüssel – der EU-Kommission steht ein Präsident vor, dann folgen sieben Vizepräsidenten, 20 Kommissare und 23.000 hochbezahlte Mitarbeiter. Diese EU-Technokraten bevormunden, nicht von den europäischen Völkern gewählt, souveräne Nationalstaaten mit unaufhörlichen Regulierungen. Bei all dem sollte nicht vergessen werden, wer diese Politik wesentlich beeinflusst – die deutsche Regierung unter Kanzlerin Merkel. Sie war es auch, die die schändliche Unterwerfung der EU gegenüber der Türkei in die Wege geleitet hat, um die Flüchtlingskrise zu "lösen".

Nachtrag:
(11.10.16) Lesenswert zum Thema auch "Von Eigenverantwortung in einer unumkehrbaren Schicksalsgemeinschaft".

Das könnte Sie auch interessieren:

Bewertung: 5.0/5
Please wait...
Schlagwörter: , , ,