Aktien – Ausblick 2016

Was bringt 2016 für die Finanzmärkte? Prognosen sind schwer, heißt es, besonders wenn es sich dabei um die Zukunft handelt… Trotzdem – es gibt einige Eckpunkte, aus denen sich Mosaiksteine für die Antwort auf die Frage ergeben. Ich will mich nachfolgend hier auf Aktien, auf den S&P 500, beschränken. Er gilt als globaler Leit-Index für Aktien. Überlegungen für andere Segmente folgen.

Viele Risiken, die Anleger durch das vergangene Jahr begleitet haben, bleiben auch 2016 im Fokus. Als da sind: Elaborierte Aktienbewertungen, nur mäßige Gewinnentwicklung und verhaltene Wachstumsaussichten.

Kurz zum Thema der auch jetzt wie stets zu optimistischen Analysten-Statements: McKinsey hat 2010 in einer Studie herausgefunden, dass die Analysten in den zurückliegenden 25 Jahren stets ein Gewinnwachstum von zehn bis 12% vorhergesagt haben. Eingetreten sind aber nur rund 6%. Die dahinter stehende Asysmmetrie von Long- und Short-Ausrichtungen war Thema dieses Artikels. Für 2016 wird von den Analystengrößen an Wall Street für den S&P 500 eine Steigerung des S&P 500 um durchschnittlich 7,7% erwartet.

Was bestimmt Aktienkurse – der erste und wichtigste Faktor betrifft die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Andererseits heißt es, Aktienkurse können sich langfristig nicht besser entwickeln als ihr Rahmen, die Volkswirtschaft. Dies ist kein Widerspruch zum bestimmenden Einfluss der Gewinnentwicklung. Auch der Gewinn ist von der Entwicklung der Gesamtwirtschaft abhängig – nur ist der Zusammenhang auf der Zeitschiene lockerer. Das liegt u.a. an „zufällig“ auftretenden Produktivitätsschüben.

Erwartungen der Marktteilnehmer haben in einem kurz- und mittelfristigen Zeitfenster ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Aktienkurse. Aktien verbriefen einen Anspruch auf einen Anteil am Strom künftiger, auf den heutigen Tag diskontierter Unternehmensgewinne. Der dabei zugrunde gelegte Zinssatz kann als die Rendite gelten, die Anleger erwarten. Aktuelle Bewertungen (KGV) zeigen, wie hoch diese Erwartungen gegenwärtig sind. In Zeiten schlechter wirtschaftlicher Entwicklung steigen Risikoaversion und Kapitalkosten an, was für einen steigenden Risikoaufschlag bei Aktien sorgt. Dann steigt der Satz zur Diskontierung künftiger Aktienerträge und die Diskrepanz zu den aktuellen Bewertungen drückt die Aktienkurse.

Damit haben wir die drei übergeordnet bestimmenden Einflüsse auf die Aktienkurse zusammen: Die Entwicklung der Unternehmensgewinne, der Bewertungen (KGV) und der Gesamtwirtschaft. Das Thema "Liquidität" klammere ich hier aus, ich werde es in einem anderen Zusammenhang behandeln.

Der folgende Chart von Ed Yardeni zeigt, wie die Analystenschätzungen seit 1995 häufig korrigiert werden mussten. Wenn diese Revisionen eine bestimmte Abwärtsdynamik bekamen, ergaben sich daraus Hinweise auf eine bevorstehende Korrektur an den Aktienmärkten – siehe blaue Linien und die von mir grün eingezeichneten Markierungslinien.

Es gibt verschiedene Sichtweisen auf die Bewertung von Aktien. Die gebräuchlichste ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Ich bevorzuge dabei das sogenannte Shiller-KGV (CAPE), das das KGV zyklisch und inflationsseitig anpasst. Als Vergleichsmaßstab wird häufig der historische Mittelwert oder der historische Median über die Zeitreihe von rund 130 Jahren genommen. Der liegt bei 16,52, bzw. 15,92, womit sich gemessen am aktuellen KGV von 25,89 eine „Überbewertung“ von knapp 56%, bzw. 63% ergibt. Mir ist der Bezug auf einen historischen Mittelwert über eine solch lange Zeitreihe allerdings zu statisch, ich sehe eher eine Referenzlinie in Form einer linearen Regression.

Das im Zeitablauf ansteigende mittlere KGV lässt sich fundamental durch steigende Produktivität und sinkende Kapitalkosten rechtfertigen. Ein mittleres KGV von rund 12,50 im Jahre 1885 entspricht so einem von etwa 20,60 heute. Die Grenzen des um die Regressionsgerade herum gelegten Trendkanals (siehe „rot“ im Chart) markieren eine erhebliche Über-, bzw. Unterbewertung von 40%. Aktuell liegt das Shiller-KGV des S&P 500 bei 25,89, demzufolge wäre eine Überbewertung von 26% festzustellen.

Die Bewertung nach Shiller-KGV liegt damit auf einem erhöhten, aber keinem extremen Niveau. Für bullische Jubelschreie besteht jedoch kein Anlass. Korrekturen finden häufig nicht dann statt, wenn die Bewertungen ein absolutes Extremniveau erreicht haben. Denn wenn sich der Ausblick nach dem zuvor gezeigten Chart von Yardeni klar abwärts richtet und zugleich das Bewertungsniveau deutlich erhöht ist, steigt das Risiko von Korrekturen und auch der Beginn von Bärenmärkten erheblich an.

Hinzu kommt der makroökonomische Ausblick. Die US-Industrieproduktion ist im November den dritten Monat in Folge gesunken und liegt jetzt 1,2% unter dem Niveaus des Vorjahresmonats.

Der Verlauf der Industrieproduktion deckt sich mit dem des ISM-Index, dem Stimmungsindikator der Fertigungsindustrie. Der ist nach mehreren Monaten Sinkflug im November unter die Schwelle von 50 gefallen, was Kontraktion anzeigt. Der aus der Industrieproduktion, dem persönlichen Konsum, der Zahl der Stellen im non-Farm-Bereich und den verfügbaren realen Einkommen gebildete Diffusionsindex ist unter seine Signalschwelle bei 50 gefallen und notiert jetzt bei 38. Ausschlaggebend hierfür war neben der Industrieproduktion auch der Verlauf des privaten Konsums, die sich beide jetzt unter ihrem Trend entwickeln. Dieser Diffusionsindex hat in den zurückliegenden fünf Rezessionen stets zeitnah in den kontraktiven Bereich gedreht.

Die verfügbaren Einkommen sind zwar im Jahresvergleich um 3,5% angestiegen. Gleichzeitig hat die persönliche Sparquote im selben Zeitraum um fast 20% auf 5,5% zugelegt. Das bedeutet, dass offenbar ein zunehmender Anteil des Einkommens nicht konsumiert wird. Hier dürfte sich die nach wie vor hohe Schuldenlast der privaten Haushalt auswirken – aus Vorsichtsgründen wird mehr gespart.

Der Schluss hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ist der: Die Expansionskräfte erlahmen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die US-Wirtschaft etwa in der Jahresmitte in eine Rezession abgleitet. Das kann auch schneller geschehen. Da die Dynamik bereits deutlich nachgelassen hat, ist die Wirtschaft durch externe Schocks besonders leicht zu erschüttern.

Herdentrieb spielt eine große Rolle bei den Erwartungen der Marktteilnehmer. In Zeiten ausgeprägten Herdentriebs kann der Markt stabil weiter hoch laufen, auch wenn übergeordnete Aspekte wie Bewertungsniveau und Aussichten auf die Gewinnentwicklung einen andere Sprache sprechen. Daher noch ein Blick auf die fraktale Auswertung des S&P 500 Monatscharts (Stand per 31. Dezember). Die obere rote Linie („Linearity“) zeigt, wie weit der Herdentrieb, bzw. die chaotische Phase des “Kurssystems” S&P 500 fortgeschritten ist. Das Linearitätsmaß hatte im Dezember 2014 einen Rekordwert von 96% erreicht. Per Ende August ist es auf 83% gefallen, per Ende November kommt es auf 71%.

Mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit nachhaltiger Korrekturen und damit zusammenhängend einem beginnenden Bären-Markt ist erfahrungsgemäß zu rechnen, wenn das Niveau von 90% unterschritten wird. Diese Bedingung ist seit Ende August erfüllt. Aktuell liegt der Wert mit 68% noch etwas unter dem Niveau aus dem Vormonat. Die Warnung des Linearitätsmaßes muss bestätigt werden. Dazu muss die Auswertung von Zuordnung und Richtung verschiedener gleitender Durchschnitte (hellgrüne Linie im oberen Chart-Bereich) nach unten abkippen. Dies ist noch nicht geschehen.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Aktienkurse zum Jahresende 2016 höher stehen, also der Bull-Run ungebrochen weitergeht, ist recht gering. Umgekehrt sollte man sich auf zunehmende Korrekturwellen vorbereiten. Der makroökonomische Hintergrund in den USA und zumindest auch in den anderen industrialisierten Ländern offenbart zunehmende Wachstumsschwäche. Die Gefahr einer Rezession steigt deutlich an. In einem solchen Umfeld ist von zunehmender Risikoaversion bei Aktien auszugehen.

Ergänzung:
Ich hatte mich zuletzt auch in den Artikeln "Aktien und Bonds: Immer mehr Warnsignale" und "Bald Trendwende bei Rohstoffen und Inflation" mit der Frage beschäftigt, wie es bei Aktien weitergeht.

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