Cantillon und Draghi, der moderne John Law

Der Philosoph George Santayana sagte einmal: "Die, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen". Karl Marx meinte in Bezug auf ein Wort von Hegel, Geschichte wiederhole sich – das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. In der Eurozone wird seit einigen Jahren ein Stück aufgeführt, das es schon einmal gab – vor ziemlich genau 300 Jahren. Nach Farce sieht es nicht aus.

Die heutige Geschichte geht wie folgt:

Vor der Jahrtausendwende steckte der italienische König namens „Produsconi“ in Schwierigkeiten, der italienische Staat steuerte nach Jahren der Misswirtschaft auf die Pleite zu. Die Kurse der italienischen Staatsanleihen waren unter Druck, die Zinsen hoch, die Währung schwach. Ein genialer Plan sah die Schaffung eines Kunstprodukts namens Teuro vor, mit dem der Handel mit den Nachbarn in Schwung kommen sollte. Die Begeisterung war groß, eine zeitlang sah es auch so aus, als ob der Plan gelingt. Leider kam etwas dazwischen, das Land kam finanziell nicht auf die Füße – im Gegenteil. Die italienischen Staatsanliehen verfielen erneut im Wert, Produsconi konnte die Zinsen auf seine Schulden wieder nicht zahlen.

Da trat ein gewisser Draghilaw, ein professioneller Spieler, an die Spitze der Teuro-Bank und rief vor illustrem Publikum aus, er werde selbigen retten. Das war zwar nicht seine Aufgabe und es gab auch kein einzelnes Land mehr, das den Teuro hätte garantieren können. Aber das illustre Publikum glaubte Draghis Versprechen. Und so stiegen die Kurse von Aktien und Anleihen. Und immer, wenn die Entwicklung ins Stocken kam, schuf Draghilaw sogleich neues Geld.

So wuchs der Wohlstand derjenigen, die schon viel hatten, insbesondere in der Finanzindustrie. Die Preise existierender Vermögensgegenstände waren mit der Ausweitung der Geldmenge stark gestiegen. Europa als Ganzes war aber nicht wettbewerbsfähiger geworden. Im Gegenteil, die italienische Wirtschaft z.B. schrumpfte weiter.

Diese Geschichte hat sich so ähnlich schon einmal abgespielt – im frühen 18ten Jahrhundert. Es war die Mississippi-Blase. Ersetzen Sie Italien und „Produsconi“ durch Frankreich und Ludwig XV, bzw. den Regenten, nehmen Sie John Law anstelle von Draghilaw. Die Rolle des Teuro hatte seinerzeit die Mississippi-Gesellschaft, bzw. die Compagnie des Indes (CIO). Und fertig sind die Ingredienzien.

Wer fehlt? Cantillon. Als Cantillon seinerzeit sah, dass die „Insider“, die Wohlhabenden Frankreichs, begannen, auf dem Höhepunkt der Spekulation mit Aktien der CIO ihre Papierwerte in Gold zu tauschen, shortete er die französische Währung und CIO-Aktien. Heutzutage hätte er wohl schon längst den italienischen Aktienmarkt gegen den deutschen und deutsche Staatsanleihen gegen US-amerikanische (gleichbedeutend mit einer Short-Position gegen Euro) geshortet.

Cantillon dürfte seinerzeit Tonnen an Geld verdient haben. Wichtiger sind die Lehren, die er zog. Und die sind bis heute gültig. Er unterschied bei zunehmenden Asset-Preisen, ob der Grund in Produktivitätssteigerungen lag oder in einer massiven Kreditexpansion. Im letzteren Fall sinkt der Geldwert gegenüber den Assetpreisen, Inflation im Asset-Bereich kommt auf. Der nach ihm benannte Cantillon-Effekt besagt, dass hiervon diejenigen am meisten profitieren, die am nächsten zur Geldquelle sitzen. Aber eine wuchernde Geldmenge kann durch sich selbst nicht zu wachsendem gesellschaftlichen Wohlstand führen.

Im französischen Fall aus den Anfängen des 18. Jahrhunderts führte die Geldflut schließlich zum Ruin der Mittelklasse, die Staatsanleihen in am Ende wertlose Aktien getauscht hatte. Damals dürfte einer der Grundsteine für die französische Revolution gelegt worden sein. Es folgte ein Zusammenbruch des Kreditwesens und dann eine große Deflation. Daraus lässt sich ableiten, dass auf eine Inflation bei Asset-Preisen selten eine bei Verbraucherpreisen folgt. Und mit Deflation bei Assets geht eher eine Güterpreis-Deflation einher – siehe z.B. auch die Zeit nach 1929.

Die Stabilität des Papiergeldsystems beruhte im damaligen Frankreich auf der Garantie der Regierung, dass Staatsanleihen, wenn gewünscht, in Gold zurückgezahlt wurden. Das galt auch für CIO-Aktien. Als „Insider“ auf der Höhe der Blase aber von diesem Recht Gebrauch machten, begann der Kollaps des Systems.

Cantillon hatte seinerzeit vom Verhältnis der Goldvorräte im Besitz der französischen Regierung zu ausstehenden Krediten auf die Instabilität des Systems geschlossen. Das entspricht nach Charles Gave heute dem Verhältnis zwischen der deutschen Leistungsbilanz und der von Rest-Europa (oder auch den Target-Salden). In der Eurozone spielt die Erwartung, dass Deutschland die vom Rest Europas ausgegebenen Finanzanlagen akkumuliert, die Rolle des Goldes als Garantie für das Papiergeld. Merkel oder der Bundestag könnten Gaves Meinung nach die damaligen französischen adeligen Insider werden, wenn sie eines Tages die Werthaltigkeit der akkumulierten Assets infrage stellen.

Der folgende Chart illustriert, was in der obigen Geschichte seit 2000 mit Italien und Deutschland geschehen ist, und er unterstreicht die Aktualität von Cantillons Erkenntnissen.

Die blaue Linie stellt das Verhältnis zwischen dem italienischen und deutschen Index der Industrieproduktion dar. Zwischen 1960 und 2000 ist der italienische Industrie-Ausstoss um fast 50% stärker gewachsen als der deutsche. Seit 2002 allerdings ist der italienische gegenüber dem deutschen um 40% zurückgegangen.

Der italienische Aktienmarkt hat den deutschen zwischen 1970 und 2002 um 250% outperformt, seither jedoch um 60% underperformt (rote Linie, rechte Skala). 2012 hatte Draghi gesagt, die EZB werde alles tun, was nötig ist. Die Bond-Märkte nahmen das als Versprechen, die Bank werde italienische, spanische, portugiesische und andere Staatsanleihen kaufen. Die Renditen schrumpften, aber z.B. die italienische Wirtschaft schrumpfte ebenfalls weiter, während die deutsche weiter expandierte.

Hätte die Politik funktioniert, hätte man eigentlich erwarten sollen, dass sich das Aktienmarktverhältnis der beiden Länder umkehrt, schreibt Charles Gave. Das ist aber nicht geschehen. Die italienische Regierung kann zwar für rund 2% Geld aufnehmen, aber der mittlere Zuwachs der Wirtschaft kommt für die zurückliegenden beiden Jahre auf –1%. Italien bleibt in der Schuldenfalle, so lange die zehnjährigen Staatsschulden oberhalb von –1% rentieren. Abgesehen davon sind negative Renditen keine Lösung, weil sie über die Zerstörung der Spartätigkeit das langfristige Wachstum tangieren. Andere Länder wie Frankreich und Spanien werden durch massive Primärdefizite gedrückt.

[Unter Verwendung von Material von "Of Central Bankers, Monkeys, and John Law" von Charles Gave (h/t John Mauldin)]

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