QE der EZB: Die Folgen

Auch wenn alle Argumente hinsichtlich der von der EZB nun beschlossenen QE-Maßnahmen schon seit längerem auf dem Tisch liegen, komme ich nicht umhin, sie zunächst nochmals Revue passieren zu lassen. Dann frage ich, welche Auswirkungen zu erwarten sind.

Das offizielle Ziel des QE-Programms ist, die Inflationsrate in der Eurozone wieder nahe an 2% zu bringen. Dieses heutige Verständnis der Zentralbanken von Preisstabilität fusst auf zwei grundlegenden wirtschafts- und finanzpolitischen Pfeilern.

Löhne sind nominal aus „institutionellen“ Gründen nach unten unflexibel. Über steigendes Preisniveau wird erreicht, dass die Löhne real sinken. Damit reduziert sich ein Kostenfaktor der Unternehmen, ihre Ertragssituation verbessert sich. Bei Inflationsraten um Null gelingt das nicht mehr. Bei der Eurozone kommt erschwerend hinzu, dass die Anpassungsmöglichkeit über Währungsrelationen entfällt, die Krisenländer können ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern. Nun erhofft man sich, dass die Inflation in den Kernländern anzieht und so die relative Wettbewerbsposition der Krisenländer stärkt.

Der zweite Pfeiler hat mit der Verschuldung zu tun. Auch hier gibt es den generellen Aspekt, dass eine positive Inflation den Schuldendienst erleichtert. Das ist insbesondere in Phasen wie der heutigen von entscheidender Bedeutung, in der das Schuldenniveau exorbitant geworden ist. In den Krisenländern der Eurozone ist die hohe Verschuldung mit-ursächlich für deren problematische Wirtschaftssituation. Bei niedrigem und sinkendem Preisniveau steigt die Schuldenlast real an und vergrößert die Schwierigkeiten, in denen sich die Schuldner ohnehin schon befinden.

Ob das QE-Programm der EZB die Inflation anheizt, ist keinesfalls zwangsläufig wie der Blick in die USA und nach Japan zeigt. Es kommt nämlich darauf an, was mit den Mitteln geschieht, die die EZB für den Kauf von Anleihen neu schafft. Wenn Banken Anleihen an die EZB verkaufen, bleiben die Mittel im Geldfass des Finanzsektors, mit der Geldmenge steigen zunächst nur die Preise der Finanzmarktassets. Ein Einfluss auf die Preise in der Realwirtschaft findet nur sehr indirekt statt, etwa durch steigende Einkommen der „Bank-Beamten“. Bei einer „nicht-Bank“ als Anleihenverkäufer kommt es auf seine Nähe zur Finanzindustrie an. Je näher, je eher werden die Mittel wieder zum Kauf von Vermögensgegenständen eingesetzt, was wie im ersten Fall deren Preise treibt. Auch hier kann es wieder einen gewissen, das Preisniveau antreibenden Einkommenseffekt geben.

Werden mit den frischen Mitteln Anleihen gekauft, steigt deren Kursniveau. Steigende Kurse bedeuten tendenziell sinkende Zinsen. Wenn die Zinsen für Unternehmensanleihen sinken, könnten sich Unternehmen neu verschulden, um damit neue Investitionen zu finanzieren. Das wirkt zunächst direkt konjunkturfördernd. Werden mit den frischen Mitteln Aktien gekauft, reagieren Unternehmen früher oder später auf die gestiegenen Kurse. Einerseits könnten sie dem Gedanken der Shareholder-Value-Maximierung folgend, eigene Aktien zurückkaufen (im schlimmsten Fall kreditfinanziert). Andererseits könnten sie aber auch neue Aktien ausgeben, um am Geldsegen teilzuhaben. Im ersten Fall würde Geld zu den Aktionären fließen, über einen Einkommenseffekt wirkt das tendenziell preistreibend. Im zweiten Fall geschähe kurzfristig das Gegenteil, der längerfristige Effekt hängt davon ab, wie die zuströmenden frischen Mittel verwendet werden.

Da die Rolle der Rohstoffe als Finanzmarkt-Assets seit den 1990er Jahren deutlich zugenommen hat, bestand in der Vergangenheit ein Wirkungszusammenhang zwischen Zentralbankgeld und Preisniveau. Steigende Geldmenge im Finanzsystem ließ die Rohstoffpreise spekulativ steigen, das induzierte Inflation in die Realwirtschaft. Angesichts abstürzender Rohstoffpreise ist aktuell eher mit einem gegenteiligen Effekt zu rechnen.

Wenn Banken durch die aus dem QE-Programm zuströmenden Mittel ihre Bilanz verbessern, könnte ihre Bereitschaft zunehmen, mehr Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben. Würden diese Kredite nachgefragt, käme es zu einer Ausweitung der Geldmenge in der Realwirtschaft. Der größeren Geldmenge steht ein zunächst gleichbleibendes Güterangebot gegenüber, es entstünde ein inflationärer Impuls. Wenn sich dann weiteres Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen in die Konjunkturbelebung entwickelt, würden weitere Kredite nachgefragt. Führt das zur Kreditausweitung käme ein kreditinduzierter Aufschwung in Gang.
— Zu viele Konjunktive: Das wichtigste ist wohl, dass gegenwärtig keine bedeutende Nachfrage nach Krediten besteht.

Zunehmender Kreditaktivität steht auch entgegen, dass das Kreditgeschäft gerade durch die wegen der schon länger bestehenden Ausrichtung der Notenbankpolitik sinkenden Zinsen zunehmend uninteressant wird. Im Zweifel bleibt eine Bank da lieber im warmen Kasino als sich mit der rauen Wirklichkeit potenziell fauler Kredite zu beschäftigen. Schließlich kann man ja auch damit rechnen, wieder herausgehauen zu werden, so man eine systemrelevante Bank ist.

Die Notenbanken haben die Situation, die sie heutzutage so lauthals beklagen, zu einem wesentlichen Teil selbst geschaffen. Die Hoffnung, dass ausgerechnet QE-Programme aus dieser Situation herausführen in ein realwirtschaftliches Wachstum, ist mit so vielen Fragezeichen und Widersprüchen verbunden, dass man eher in eine andere Richtung denken sollte.

Was wird das QE-Programm der EZB also bewirken?

(1) Der Welt-Konjunkturzyklus ist bereits sehr reif. Seine durchschnittliche Länge lag zuletzt bei sechs bis sieben Jahren. Demzufolge würde ich die Wahrscheinlichkeit sehr hoch einschätzen, dass es im Verlauf der nächsten 12 bis 18 Monate zu einer Rezession der Weltwirtschaft kommt. Da bleibt nicht mehr viel Raum dafür, dass sich das Vertrauen des pivaten Sektors in die wirtschaftliche Zukunft so stark entwickelt, dass die Kreditnachfrage anspringt und die Inflation befördert (wenn denn die Banken dies mittragen – s.o.!). So bleibt: Mit ihrem QE-Programm schwächt die EZB den Euro massiv weiter, das dient der Exportindustrie als Konjunkturspritze.

(2) Die negativen Inflationsraten als Grund für das QE-Programm sind vorgeschoben, die ersten Hinweise darauf stammen aus 2013, als die Inflationsrate noch deutlich positiv war. Ich folge der Feststellung des ehemaligen Chefvolkswirts der EZB, Jürgen Stark. In einem Interview mit dem Handelsblatt hält er die Debatte um die Deflationsgefahren in Europa für „völlig überzogen“. „Die EZB will die Refinanzierungskosten einzelner Länder verringern. Das ist etwas anderes als die traditionelle Geldpolitik,“ sagte er. Eine noch expansivere Geldpolitik werde „weder in der Realwirtschaft Wirkung erzielen, noch die Inflationsraten schnell nach oben treiben“.

(3) Neben der Rettung der Staaten der Krisenländer geht es um die Rettung der Banken. Die EZB nimmt die Staatsanleihen der Euroländer zu bereits sehr deutlich gestiegenen Kursen in ihre Bücher, die die Banken u.a. mithilfe der beiden LTRO-Programme der EZB seit 2012 gekauft haben. Ein schöner Gewinn mit viel Schrott!

Holger Steltzner, Mitherausgeber der FAZ schreibt: “Weder die Diagnose noch die Medizin überzeugen.” Nun würden auch die letzten positiven Zinsen verschwinden. “Wirtschaftlich bleibt das monetäre Staatsfinanzierung.“ Aus seiner Sicht sei es aber juristisch nicht zu beanstanden.

Oliver Stock, Handelsblatt-Online-Chefredakteur, sieht im Medikament des Herrn Draghi eine Erleichterung des Schuldenmachens. Genausogut könne man einen Alkoholiker zum Freibier einladen. Der Mann sei des Teufels, er mache unsere Altersvorsorge zum Witz. Die Bürger wärden angehalten worden, selbst für ihr Alter vorzusorgen. Die EZB aber unterwandert das, weil sie allen auf sicheren Zinsen beruhenden Sparprodukten das Wasser abgräbt. Die EZB schaffe ein Meer von armen Ruheständlern.

Mark Schieritz findet in der 'Zeit' die EZB-Entscheidung super, die Risiken seien übertrieben groß dargestellt. Die EZB sei nicht nur für Deutschland zuständig, sondern für alle Mitgliedsstaaten der Eurozone. Und jetzt sind die an der Reihe. Die Bundesrepublik habe von der Krise mehr profitiert als alle anderen Länder in Europa. Sein Kollege Dieter Wermuth wird nicht müde, ebenfalls fürs Schuldenmachen zu trommeln: „…gesamtwirtschaftlich ist es tödlich, wenn nicht entsprechend Schulden gemacht, in Human- und Sachkapital investiert und Einkommen generiert wird.“ Statt von weiteren Schulden und ihrer positiven Wirkung zu träumen, sollte er sich besser fragen, was das Schuldenmachen bisher gebracht hat.

In einem marktwirtschaftlichen Umfeld kann man entweder Preise oder Menge kontrollieren, aber nicht beides gleichzeitig. Wenn die Notenbanken meinen, die Zinsen weltweit nach unten manipulieren zu müssen, müssen sie die dazu passende Geldmenge liefern. Und diese Geldmenge strömt dann wie durch kommunizierende Röhren über Währungsrelationen zu einem neuen internatiolen Gleichgewicht (v.a. in den Taschen von Großspekulanten).

Im Frühjahr 2002 begann der lange Abstieg des Dollar-Index. Ein beständiger Fluss außer Landes schwächte die US-Währung – bis zur Jahresmitte 2008. Von 72 stieg der Index bis März 2009 auf knapp 89. Dieses Niveau erreichte er nochmals Mitte 2010 nach dem ersten Ausbruch der Griechenland-Krise. In lockerem Zusammenhang mit den einzelnen QE-Programmen der Fed oszillierte er mit abnehmender Amplitude um 80 herum.

Mitte 2014 erfolgte (zusammen mit dem Ölpreis-Einbruch) der Ausbruch zur Oberseite hin. Er konnte mit dem Anstieg über 84 als bestätigt gelten. Ich wüsste momentan nicht, was dagegen spricht, dass der Dollar-Index Anfang April bei 100 steht. Knapp darüber liegt das 62er Retracement zwischen dem Hoch aus 2002 und dem Tief aus 2008. Ob er dann noch die Kraft hat, gleich auch noch den Widerstand bei 104 zu nehmen, ist sehr fraglich.

Der steile, anhaltende Anstieg seit Jahresmitte 2014 lässt darauf schließen, dass Auflösung von Carry-Trades dahinter steckt. Es gibt Schätzungen, die vermuten die Gesamtsumme der über die Jahre und zuletzt mit der QE-Politik der Fed eingegangenen Carry-Trade-Kredite bei 9 Bill. Dollar. Wenn der Dollarwert deutlich steigt, wird die Rückzahlung solcher Kredite schnell teuer. Ihre Auflösung stärkt den Dollar weiter, was weitere Gläubiger zur Rückabwicklung veranlasst.

Die Fed kommt mit ihrer Bilanzverlängerung seit „Lehman“ um 3,6 Bill. Dollar auf knapp 22% des BIP. Die BoJ kommt aktuell auf über 50%, das ist in Relation zum BIP mehr als das Doppelte der Fed, absolut sind es etwa 2,5 Bill. Dollar. Und das Programm ist in vollem Gange – ein Ende ist nicht in Sicht. Der Yen ist seit Beginn der QE-Maßnahmen der BoJ um mehr als 50% gesunken.

Anfang Juni 2014 hatte die EZB das TLTRO-Programm verkündet, das Anfang Juli 2014 von 800 auf 1000 Mrd. Euro aufgestockt wurde. Das Programm hat sich bisher mehr oder weniger als Flop herausgestellt. Als Richtschnur hatte die EZB immer wieder genannt, ihre Bilanz auf das Niveau von Mitte 2012, also auf gut 3 Bill. Euro, zu verlängern. Das war längere Zeit, bevor die Inflationsrate der Eurozone in den negativen Bereich rutschte. Das Signal haben die "Märkte" verstanden – Anfang Juli begann der Abstieg des Euro.

Der Euro hat von seinem jüngsten Hoch aus Mitte 2014 bei 1,38 bis jetzt knapp 20% an Wert gegen den Dollar verloren, in der zurückliegenden Woche alleine über 3%. Es liegt auf der Hand, dass er die Parität zum Dollar ansteuert. Die könnte im April/Mai erreicht werden.

Ich weiß nicht, ob es wirklich abgesprochen ist. Aber es sieht so aus, als reichten sich die großen Notenbanken die Zuständigkeit dafür weiter, die internationale Geldflut am Laufen zu halten. Die Fed pausiert aktuell, die BoJ ist eingestiegen, jetzt ist die EZB an der Reihe. Sie hat ihr QE-Programm auf gut 1 Bill. Euro angelegt. Es gibt bereits Stimmen wie die von Adam Posen, die das für viel zu wenig halten. Und in der Tat, die 1,14 Bill. Euro sind gerade einmal 10% des BIP der Eurozone. Da wird schon noch mehr kommen, die Carry-Trade-Kreditnehmer wird es freuen. Die Aussicht darauf wird den Euro so schnell nicht wieder erstarken lassen. Und das freut auch die deutsche Exportindustrie.

Wer ist der nächste, bzw. die nächste im QE-Ringelpitz? Die BIP-Entwicklung in China ist im vierten Quartal unter der Messlatte der Regierung von 7,5% jährlichem Wachstum geblieben, die Preisentwicklung ist auf mehr-Jahres-Tief.

Neben den operativen Argumenten, die alle nicht dafür sprechen, dass ein QE-Programm geradewegs in die Prosperität führt, gibt es auch noch den ordnungspolitischen Aspekt. Zinsen haben ihre Zeigerfunktion verloren, das im Überfluss vorhandene Kapital führt zu enormen Fehl-Allokationen. Die Verschuldung wird nicht ab-, sondern erst richtig aufgebaut. Eine übergroße Verschuldung belastet das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft. Noch mehr Schulden kehren dies nicht um – im Gegenteil.
Krass auf den Punkt gebracht: Die Finanzindustrie ist der einzige Nutznießer einer QE-Politik. Bis zum nächsten Crash – wer ist dann noch da als Retter in der Not?

Nachtrag:
(31.1.15) Aus dem Degussa Marktreport vom 30. Januar 2015: "Die Anleihekäufe (der EZB) wecken politische Begehrlichkeiten, die kaum mehr beherrschbar sind – vor allem von Seiten der Staaten und Banken. Schon bald könnte sich zeigen, dass eine zusätzliche Geldmenge in Höhe von 1,14 Billion Euro nicht ausreicht. 1,14 Billion Euro erscheinen in der Tat ein „recht kleiner Betrag“ zu sein, wenn man sich die Bilanz des Euro-Bankenapparates vor Augen führt. Sie hatte im Oktober 2014 ein Volumen von insgesamt 31,2 Billionen Euro. Die jederzeit fälligen Verbindlichkeiten der Euro-Geldhäuser betrugen 4,9 Billionen (also 4.858 Milliarden Euro), während sich die Kassenguthaben aller Euro-Banken bei der EZB auf weniger als 200 Milliarden Euro beliefen. Um die Euro-Banken jederzeit zahlungsfähig zu halten, könnte die EZB also quasi gezwungen sein, bis zu 4,7 Billionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen."

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