Ukraine: Hohes Risiko

Der russische Militäreinsatz auf der Krim wird international scharf kritisiert. Kanzlerin Merkel und US-Präsident Obama warfen Kremlchef Putin einen Verstoß gegen das Völkerrecht vor. Jetzt käme es besonders auf die Einigkeit der internationalen Gemeinschaft an, versicherten sie sich bei einem Telefonat gegenseitig.

Schon warnen alle Direktoren von volkswirtschaftlichen Forschungseinrichtungen, Chefvolkswirte von Banken und andere, die immer schon alles gewusst haben, dass eine generelle Verunsicherung der wirtschaftlichen Erwartungen die konjunkturelle Entwicklung in der Eurozone insgesamt belasten kann. Ohnehin sei die Unsicherheit nach wie vor groß, sie stelle immer noch eine erhebliche Bürde für den globalen Aufschwung dar.

Das Problem –darin sind sich die meisten Beobachter einig- liegt nicht darin, dass ein Land am Rande Europas pleite gehen könnte. Dazu ist die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine zu gering. Der entscheidende Punkt ist, dass Russland sich gegen die Einschränkung seiner Einflusssphären zur Wehr setzt. Der russische Vasall Janukowitsch war durch einen lang anhaltenden Aufstand vor einigen Tagen aus dem Amt gejagt worden.

Die ehemalige Sowjetrepublik Ukraine taumelt seit Jahren zwischen einer stärkeren wirtschaftlichen Anbindung an Westeuropa und seinen historischen Bindungen nach Russland hin- und her. Die Proteste verschärften sich zuletzt u.a. deshalb, weil Janukowitsch sich weigerte, mit der EU ein Freihandelsabkommen zu schließen. Russland hatte dem Land im Dezember 2013 Hilfskredite über 15 Mrd. Dollar in Aussicht gestellt, die Zahlungen jedoch unterbrochen, als die politischen Turbulenzen eskalierten.

Die Ukraine benötigt nach Angaben ihrer Übergangsregierung 35 Mrd. Dollar an Krediten, davon 4 Mrd. Dollar innerhalb der nächsten ein bis zwei Wochen. Die G20 hatten auf ihrer Tagung vor kurzem in Sydney Hilfe in Aussicht gestellt. Auch der IWF steht grundsätzlich bereit, heißt es. Goldman Sachs muss es wissen: „Kurzfristig dürfte eine Pleite verhindert werden – wir gehen davon aus, dass es rasch Unterstützung durch die USA und die EU geben wird.“

Seitens der Bevölkerung der Ukraine gibt es Präferenzen, die im Ostteil tendiert zu Russland, die im Westteil nach Europa. Durchaus denkbar, dass der Konflikt um die Ukraine letztendlich dadurch entschärft wird, dass das Land geteilt wird und die jeweilige Bevölkerung in Volksabstimmungen ihr entsprechendes Votum abgibt. Dabei würde sich die wesentliche industrielle Basis der Ukraine Russland annähern, der ländlichere Teil sich an den Westen anlehnen. Vorbehaltlich einer eingehenderen Analyse (insbesondere hinsichtlich der Verteilung der Energiereserven im Küstengebiet des Schwarzmeeres) dürfte Russland bei diesem „Deal“ besser abschneiden.

Der Konflikt in und um die Ukraine beinhaltet großen Zündstoff und hat durchaus das Zeug zu einer schweren weltpolitischen Eskalation. Russland wird sich eine mögliche Beschneidung seines Einflusses nicht bieten lassen. Der Westen wird sich einige Tage darin gefallen, den Bruch des Völkerrechts durch Russland anzuprangern. Dann werden beide Seiten im gegenseitigen Interesse versuchen müssen, eine Lösung zu finden, die auch der Bevölkerung der Ukraine bessere Zeiten in Aussicht stellt.

Aus der Störung der normalen Handels- und Finanzbeziehungen ergeben sich für die Eurozone recht geringe unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen. Am stärksten von den Eurozonen-Ländern ist die deutsche produzierende Wirtschaft nach Osten ausgerichtet: 3,5% der deutschen Exporte gehen nach Russland, 0,5% gehen in die Ukraine. Bedeutendere Auswirkungen hätte eine länger anhaltende, aber nicht sehr wahrscheinliche Einschränkung der Gaslieferungen (siehe unten!).

Entscheidend ist, dass die Eurozone von einem moderaten externen Schock getroffen wird in einer Zeit, in der sie einen mühsamen Turn-around versucht und alles andere als stabil dasteht. Das macht in besonderem Maße verletztlich und verstärkt die vorherrschende Unsicherheit über den weiteren wirtschaftlichen Kurs.

Fazit: Die politischen Folgen können weit über die direkten ökonomischen Effekte hinaus reichen und darüber wieder starke wirtschaftliche Bremsspuren in der Eurozone herbeiführen.

Ukraine – Fakten und Hintergrund

Wirtschaft
Die 45 Millionen Einwohner umfassende Ukraine trägt 0,5% zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei. Sie ist nach Russland der größte Flächenstaat in Europa. Wichtigstes Exportgut ist Weizen, 8% der globalen Exporte entfallen auf das Land. Die Ukraine verfügt über reiche Bodenschätze. Etwa 5% der weltweiten Eisenerzvorkommen liegen in der Ukraine, hinzu kommen Bauxit, Blei, Chrom, Graphit, Gold, Quecksilber, Magnesium, Nickel, Titan, Uran und Zink. Im Schwarzmeer-Shelf wurden Erdöl- und Erdgasreserven entdeckt. Der Anteil der Schwerindustrie an der Gesamtwirtschaft ist nach wie vor bedeutend. Im Export dominieren Eisen und Stahl, danach folgen Nahrungsmittel.

Gas und Öl müssen vor allem aus Russland importiert werden. Die Abhängigkeit der Ukraine von russischen Gaslieferungen könnte sich ändern, wenn die Reserven im Schwarzmeer erschlossen würden. Einstweilen hat Gasprom angekündigt, die Preise für Gas-Lieferungen in die Ukraine ab April deutlich zu erhöhen.

Die industrielle Basis der Ukraine liegt im Osten, ihr Westen ist ländlich geprägt.


Handelsbeziehungen
Deutschland ist in absoluten Zahlen eher kleiner Handelspartner der Ukraine. Das Land ist aber eine wichtige Passage für Energielieferungen in die EU. Darin liegt auch das größte direkte Risiko für Europa. Russland ist bei Gas und Öl mit einem Anteil von je 35% der wichtigste deutsche Lieferant. Commerzbank-Chefökonom Krämer sagte kürzlich: „Wenn die Ukraine die Durchleitung verweigerte, könnte nur die Hälfte über andere Pipelines umgeleitet werden.“ Die EU insgesamt bezieht rund ein Viertel ihres Gasbedarfs von Russland. Davon geht die Hälfte durch die Ukraine.

Die Krim
Die Krim ist 1954 der damaligen ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen worden. Nach Zerfall der Sowjetunion gab es Bestrebungen der überwiegend russischen Bevölkerung der Halbinsel, sich für unabhängig zu erklären. 1992 wurde der Krim der Status einer Autonomen Republik innerhalb des ukrainischen Staates zugestanden. Die größte Stadt der Krim, Sewastopol, ist Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Der diesbezügliche Vertrag, in dem Russland ein Teil der Stadt verpachtet ist, wurde 2010 unter Janukowitsch bis 2042 verlängert. Im Gegenzug sicherte Russland der Ukraine damals vergünstigte Erdgaslieferungen zu.

Russland und die Ukraine
Putin, Russlands pragmatischer Zar, verfolgt das Ziel, möglichst viele frühere Sowjetrepubliken zu einem neuen Imperium zusammen zu schließen. Diese Konstruktion trägt die schlichte Bezeichnung „Zollunion“. Mit dabei sind gegenwärtig außer Russland Kasachstan und Weißrussland, Kandidaten sind Armenien und Kirgistan. Die Ukraine sollte als Schwergewicht hinzukommen. Die USA und die EU wollten und wollen genau das verhindern, den USA schwebte und schwebt darüber hinaus vor, in der Ukraine militärische Stellungen aufzubauen – vordergründig gegen den Iran. Es liegt auf der Hand, dass Putin etwas gegen diese Pläne hat.

Nachtrag:
(4.3.14) Russland hat am Morgen seine ausgerückten Truppen bis zum 7. März zurück in ihre Kasernen beordert. Es habe sich bei der militärischen Intervention um Übungs-Manöver gehandelt, die erfolgreich verlaufen seien, heißt es.
(4.3.14) Die Europäische Union will am Donnerstag bei einem Sondergipfel über weitere Schritte beraten. Teile der osteuropäischen Staaten und Schweden sind, ähnlich wie die USA, für einen harten Kurs. Deutschland dagegen bevorzugt verstärkte Krisendiplomatie, die Kontakte zu Russland sollen nicht zu sehr belastet werden.
(5.3.14) Lesenswerter Kommentar bei "Cicero", der auch die Rolle des Westens kritisch reflektiert.

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