Eurozone: Leistungsbilanz-Saldo auf Rekordhoch

Die Leistungsbilanz der Eurozone hat sich von einem Defizit in 2009 in einen Überschuss gewandelt. Per 2013 beträgt es 2,3% des BIP. Im Vorjahr hatte es noch bei 1,4% gelegen. Das ist eine deutliche Steigerung (Quelle). Ich nehme das zum Anlass für einen Blick darauf, welche die Auswirkungen der bisherige Verlauf der Euro-Krise auf den Leistungs- und Kapitalverkehr hatte und hat.

Deutschland hat seit 2005 einen hohen Leistungsbilanzüberschuss, der aber seit 2010 gegenüber den anderen Euro-Ländern sinkt. Diese hatten vor Ausbruch der Euro-Krise hohe Leistungsbilanzdefizite, die sich seit dieser Zeit ebenfalls verringern (siehe "Ergänzung 2" am Ende des Artikels!). Wenn die Geschäftsbeziehungen Deutschlands mit dem Rest der Welt per Saldo neutral geblieben wären, hätte der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands ebenfalls zurückgehen müssen. Dies war aber nicht der Fall – der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands blieb hoch, was auf direkte oder indirekte Nettokapitalexporte Deutschlands in den Rest der Welt außerhalb der Eurozone hinweist.

Der von Thomas Mayer in der "Wirtschaftswoche" gezeigte Saldo des deutschen, nach Regionen aufgeschlüsselten Kapitalverkehrs macht deutlich, dass im Zuge der Krise zunehmend deutsches Kapital in die Eurozone abgeflossen ist. Die Entwicklung erreichte in den ersten Monaten des Jahres 2012 ihren Höhepunkt und hat sich seitdem umgekehrt. Spiegelbildlich dazu verhalten sich die Kapitaleinfuhren aus Großbritannien.

Prof. Sinn, ifo Institut, erklärt das folgendermaßen: Als Anleger mit der Euro-Einführung Investitionen in Südeuropa sicher glaubten, verließen sie Deutschland. Dort begann ein Boom, in dessen Verlauf diese Länder mehr importierten und weniger exportierten. In Deutschland kam es mangels inländischer Investitionen zur Flaute, die Waren-Exporte ließen Leistungsbilanzüberschüsse entstehen. Die Kapitalflucht begünstigte das.

Mit der Krise 2007/08 versiegten private Kapitalflüsse von Deutschland in die Krisenländer, die Anleger kamen zurück. Aber ihr Kapital wurde in Form von öffentlichem oder öffentlich besichertem Kapital durch die Rettungsaktionen der EZB und der EU wieder in die Krisenländer geschickt. Das verhinderte einen Finanzierungsstopp der Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer, ihre Leistungsbilanzsalden reduzierten sich aber. Die neuen Kredite wurden nicht mehr nur zur Finanzierung von Importen verwendet, sondern auch dazu, ausländische Kapitalanleger auszuzahlen und so die Gläubiger Irlands, Italiens und Spaniens zu retten. Die City of London, US-Pensionsfonds und französische Banken konnten aufatmen, deutsche Hilfe hat ihnen der Ausstieg aus ihren toxisch gewordenen Anlagen ermöglicht.

In den Krisenjahren 2008 bis 2012 betrug der deutsche Leistungsbilanzüberschuss mit dem Rest der Welt 798 Mrd. Euro. Auf drei Viertel dieser Summe, nämlich 585 Mrd. Euro, kommt der Zuwachs an Krediten der Bundesbank an andere Länder des Euro-Systems (Target2 – Chartquelle).

Die Kredite der verschiedenen Rettungsfonds (EFSF, ESM, EFSM, IWF) summieren sich auf 284 Mrd. Euro, Deutschland hat davon für anteilig 60 Mrd. Euro gebürgt und zusätzlich 15 Mrd. Euro Kredit direkt an Griechenland gegeben. Mit Bundesbank (Target) erreichen die deutschen Rettungskredite also insgesamt 660 Mrd. Euro.

Für die Gelder, die den Krisenländern aus den deutschen Rettungskrediten zuflossen, kaufte das Ausland über das Finanzzentrum London deutsche Waren und Wertpapiere. Man kann auch sagen, dass die Kredite, die Ausländer den Krisenländern vor der Krise gegeben hatten, mit deutschen Waren getilgt wurden.

In normalen Zeiten hätte Deutschland in Höhe des vollen Leistungsbilanzüberschusses entsprechende Vermögenstitel im Ausland erworben. In den fünf Krisenjahren hat Deutschland stattdessen entsprechende Forderungstitel öffentlicher Instanzen erhalten: Sein Leistungsbilanzüberschuss ist zu 83% durch öffentliche Institutionen kreditiert worden, schreibt Sinn.

So weit zur Vergangenheit und ihrer Hypothek, die darin besteht, dass Deutschland auf hohen Forderungen gegenüber dem Ausland sitzt. Abgesehen davon, dass es sich dabei um nahezu zinslose Kredite handelt, muss sich deren Werthaltigkeit erst noch erweisen – die Schuldner, andere Euro-Länder wie z.B. Italien, sind noch nicht über den Berg (siehe "Ergänzung 1" am Ende des Artikels!). Eine gute Investition sieht anders aus.

Seit Mitte 2012 nimmt der Einfluss der beschriebenen Eurozonen-internen Faktoren auf die Entwicklung der deutschen Leistungsbilanz ab. Ihr Saldo ist indes weiter gestiegen und beläuft sich in Relation zum nominalen BIP per 2013 auf 7,3%. (Weil die Schwelle von 6% des BIP überschritten worden ist, hat die EU-Kommission im November ein förmliche Untersuchung eingeleitet). Damit ist davon auszugehen, dass die deutsche Kapital- und Leistungsbilanz nun wieder zunehmend anderen Einflüssen unterliegt.

Hierbei spielt eine Rolle, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hoch ist, weil die Lohnstückkosten im Vergleich zu anderen Ländern der Eurozone gering sind und der Wechselkurs des Euro für Deutschland zu niedrig ist. Gleichzeitig ist die Investitionstätigkeit in Deutschland beständig schwach, was u.a. mit der Alterung der Bevölkerung zusammenhängen dürfte, aber auch durch die vergleichsweise niedrigen Lohnkosten begünstigt wird. (In den kommenden zehn Jahren müssten einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge 120 Mrd. Euro in die veraltete deutsche Infrastruktur investiert werden, damit Deutschland seinen Wettbewerbsvorteil nicht verliert.)

Der Leistungsbilanzüberschuss der Eurozone geht damit zu einem wichtigen Teil auf den Export(vize)weltmeister Deutschland und seine Warenlieferungen in alle Welt zurück. Er ist zugleich Zeichen für eine Standortschwäche, die Kapital zu Lasten von Investitionen in die einheimische Wirtschaft abfließen lässt.

Im obigen EZB-Chart des Verlaufs des Leistungsbilanzsaldos wird deutlich, dass die Netto-Portfolioinvestitionen wieder zugenommen haben. In der Vorgeschichte hierzu zeigt sich im langfristigen Verlauf ab 2000, wie die Portfolio-Investitionen in die Eurozone ("Inflow") bis Mitte 2007 deutlich anstiegen, daraufhin stark zurückkamen, ab Mitte 2009 wieder etwas zulegten, bevor sie ab Mitte 2011 erneut schrumpften und im zweiten Quartal 2012 sogar kurz die Nulllinie durchbrachen. Die Wende im Sommer 2012 spiegelt wider, dass sich das internationale Kapital durch die damalige Aussage von EZB-Draghi, alles tun zu wollen, um den Euro zu retten, ermuntert fühlte, wieder in der Eurozone zu investieren.

Auch angesichts der geringen Investitionsneigung in Deutschland erscheint der Wachstumsmotor und "starke Mann" Europas nur stark im Vergleich zu all den Schwachen in der europäischen Nachbarschaft – unter den Blinden ist der Einäugige König. Deutschlands "Lohn" für die Rettung der Eurozone und ihrer ausländischen Gläubiger besteht in hohen Forderungen an ein Europa, dessen Schulden zu hoch, dessen Wachstum gering, dessen Wirtschaftssystem wenig diversifiziert, dessen politisches System bürokratisch verkrustet und dessen Bankensektor aufgebläht ist. Dass dieses Europa in den zurückliegenden 18 Monaten Ziel bemerkenswerter ausländischer Portfolio-Investitionen war, ist im wesentlichen der Zusicherung der EZB geschuldet, alles zu tun, um den Euro zu retten. Zum anderen ist das Ausdruck des durch die Geldflut der Zentralbanken losgetretenen "Anlagenotstands" – irgendwo muss die "Kohle" ja hin…

Ergänzung 1:
Der italienische Schuldenberg ist im Jahr 2013 um 78 Mrd. Euro 2,07 Bill. Euro angewachsen. Die Staatsverschuldung liegt damit jetzt bei fast 133% des BIP, das ist der höchste Stand seit 1924. Auch in Spanien sind die Staatsschulden in 2013 weiter gestiegen, und zwar um 77 auf gut 788 Mrd. Euro. Werden die Regionen, Gemeinden und Sozialkassen einbezogen, dürfte der Schuldenberg auf rund 1000 Mrd. Euro oder etwa 100% des BIP zugenommen haben.

Ergänzung 2:
Die folgende Grafik stellt den Verlauf der Leistungsbilanzsalden von Deutschland, Italien, Spanien und Portugal seit 2000 gegenüber.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bewertung: 5.0/5
Please wait...
Schlagwörter: , , , ,