Ferguson: Der Niedergang Europas

Der Historiker und Euro-Gegner Niall Ferguson prophezeit in seinem Buch „The Great Degeneration“ den Niedergang des Westens und eine möglicherweise wieder erstarkende USA.

Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau begründet er diese Sicht mit der sich verändernden Rolle der Institutionen. Gerechte Institutionen könnten arme Länder reicher machen und schlechte Institutionen reiche Nationen ärmer. „In vielen westlichen Ländern gibt es einen Niedergang der Institutionen, die die Demokratie, den Kapitalismus, den Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft betreffen.“ Außerdem lässt die Qualifikation der Menschen im Westen nach. Eine richtige politische Führung könnte diesen Trend aufhalten.

Am Beispiel der deutschen Geschichte nach 1945, wie auch an der Entwicklung der beiden Koreas lässt sich bei gleichen kulturellen und geographischen Ausgangslagen sehr schön ablesen, welche Rolle Institutionen spielen.

Im 18. und 19. Jahrhundert organisierten sich die Bürger in westlichen Gesellschaften, um gemeinsam und ohne fremdes Zutun bestimmte Probleme zu lösen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts aber hat der Staat solche Funktionen übernommen, mittlerweile wird an einen fürsorgenden Staat gedacht, der von der Krippe bis zum Grab eines Bürgers präsent ist und alles regelt. Vor 100 Jahren haben die Bürger sehr viel unabhängiger gewirkt. „Genau diesen Geist benötigen wir wieder,“ sagt Ferguson.

Dabei waren diejenigen Institutionen, die Freiheit garantieren, etwa die Verbindung individueller Freiheitsrechte mit Eigentumsrechten, besonders nützlich. Der heutige Staat interveniert zu viel, oft mit dem Vorwand, das Risiko zu verringern. Das aber mindert den Wettbewerb, erhöht das Risiko und schwächt die Position des Westens.

In China behinderte das Wettbewerbs-feindliche institutionelle System lange Innovationen. Es beruhte auf Annahmen alter Philosophen und folgte einer Ideologie gesellschaftlicher Stabilität. Fergusons Ansicht nach hat die Kommunistische Partei begriffen, wie wichtig es ist, die Institutionen zu reformieren. Es sei möglich, dass die Führung in Peking eine Reform anstrebt, die vom Fiskalsystem hin zum politischen System reicht (siehe z.B. hier!). Das Wichtigste ist, dass China ein Rechtsstaat wird und auch die herrschende kommunistische Partei dem Gesetz untersteht. Da es aber keine Tradition der Rechtsstaatlichkeit gibt, ist es wahrscheinlich, dass China bei dieser institutionellen Reform Probleme bekommt.

In den USA profitierten vor allem Anwälte von einer exzessiven Komplexität der Gesetzgebung, die dadurch verursachten Kosten für die US-Wirtschaft sind enorm. Das ist zwar ein spezielles Problem der USA, aber in der Tendenz gilt für den gesamten Westen, dass Regulierung und Gesetzgebung überkomplex und damit ein großer Kostenfaktor geworden sind. Diese Überkomplexität mache zudem viele Regulierungen unwirksam (siehe z.B. auch hier!).

Was den Euro angeht, so war Ferguson von Anfang Gegner einer Währungsunion ohne vorherige Vereinheitlichung. Da es aber nun den Euro gibt, muss man ihn am Leben halten, weil die Kosten für eine Alternative sehr hoch wären, sagt er. Die Deutschen liegen falsch in dem Glauben, den Euro durch einen Fiskalpakt retten zu können. Sie wollen, dass die anderen die Arbeitsmarkt-Reformen der Agenda 2010 unter Schröder durchführen. Ein Strukturreform-Pakt mit an Bedingungen geknüpften Hilfeleistungen wäre klüger.

Imperien existieren enorm lange, wie am Römischen Reich am britischen Empire zu sehen. Es gibt keine Art vorhersehbaren Lebenszyklus, der zeigt, wann das Ende naht. Wenn Imperien aber in kritische Phasen geraten, kann der Zusammenbruch sehr schnell gehen. Dabei sind die auslösenden Faktoren häufig unbedeutend.

Wahrscheinlich wird die USA in den nächsten 20 Jahren ihre Dominanz zurückgewinnen. Sie haben gegenüber der Ein-Kind-Politik in China eine bessere demographische Ausgangslage, zudem ist ihr Wirtschaftssystem immer noch relativ flexibel (siehe z.B. auch hier!). Unwahrscheinlich ist, dass China in 20 Jahren die Welt dominieren wird. Recht sicher wird Europa stagnieren und einen relativen Fall erleben, weil man sich mehr dem Ausbau des Binnenmarktes als dem der einheitlichen Währung hätte widmen müssen. Der Nahe Osten wird weitere Revolutionen erleben und noch instabiler werden.

In 20 Jahren gibt es dominante Akteure in Nordamerika und Ostasien – und dazwischen jede Menge Probleme, schließt Ferguson.

Zur Person:
Niall Ferguson, 1964 in Glasgow geboren, ist Professor für Geschichte an der Harvard-Universität in Boston. Sein Spezialgebiet ist internationale Wirtschafts- und Finanzgeschichte.

Douglas North leistete wichtige grundlegende Beiträge in der Untersuchung der historischen Rolle von Institutionen. Er unterscheidet informelle und formelle Institutionen. Informelle Institutionen umfassen z.B. Sitten, Gebräuche und Traditionen, die von der Gesellschaft aus eigenem Antrieb befolgt und bewahrt werden. Formelle Institutionen sind gestaltete, schriftlich fixierte Spielregeln, Gesetze, Verträge usw. Organisationen (Unternehmen, Kooperationen, Parteien usw.) sind die Akteure im durch die Institutionen vorgegebenen Rahmen. Das institutionelle Gefüge ändert sich im Laufe der Zeit durch Wechselwirkung zwischen Organisationen und Institutionen.

Ferguson spricht einen wichtigen Punkt an. Der Staat mischt sich immer stärker operativ in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen ein. Dadurch entsteht eine überbordende Bürokratie, die vor allem eines will, sich ausbreiten. Dabei wird der Gestaltungsspielraum des Einzelnen, bzw. allgemein der Wirtschaftssubjekte, immer stärker eingeengt. „Vielfalt“ geht verloren, dabei ist sie eine, wenn nicht die wesentliche Voraussetzung für konstruktive Entwicklungen. Vielfalt ist der Vorrat, aus dem ein evolutionärer Prozess schöpft, um eine Entwicklungslinie an veränderte Umstände anzupassen.

Der Mechanismus von Märkten ist auf der wirtschaftlichen Ebene am ehesten geeignet, Fortbestand und Weiterentwicklung einer Gesellschaft sicher zu stellen. Märkte sollen auch insofern frei sein, als sie auf der operativen Ebene möglichst wenig Beschränkungen unterliegen. Allerdings gehört dazu ein (sehr) fester (ordnungspolitischer) Rahmen, der sicherstellt, dass das Ergebnis dieses Abstimmungs-Mechanismus im Sinne der optimalen Verwendung von Ressourcen ausfällt.

Je stärker der Staat permanent-operativ regulierend eingreift, je komplexer und zentralistischer wird das gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen. Solche Komplexität gibt großen Organisationen und Unternehmen einen entscheidenden Vorteil, weil sie sich den Aufwand leisten können, im Wust der staatlichen Vorschriften und Prozesse den für sie vorteilhaftesten Weg zu finden.

Die zunehmende Bürokratisierung führt zu Erstarrung und trägt damit den Keim des Niedergangs in sich.

Nachtrag:
(30.11.13) Ein schönes Beispiel für die heutige “institutionelle Komplexität” gibt John Mauldin im folgenden Diagramm. Bemerkenswert ist, schreibt er dazu, dass dieselben Banken und Investment-Unternehmen, die in 1999 den Glass-Steagall Act durch ihre Lobbyisten zu Fall brachten, aggressiv und erfolgreich für den "Dodd-Frank Act“ in 2010 kämpften. Er ist so lang und kompliziert, dass er den Spitznamen "Lawyers' and Consultants' Full Employment Act of 2010" trägt. Er stellte sicher, dass die Finanzindustrie so weitermachen konnte wie zuvor und das hat sie, gemessen an ihren Gewinnen, auch getan.

Es sollte auch in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Die Fed hatte vor der Finanzkrise genügend Instrumente, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Dazu bedurfte (und bedarf) es keiner neuen 2000+ Seiten Papier.

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