200.000 Tote auf beiden Seiten – wie viele noch?

Heute jährt sich der russische Einmarsch in die Ukraine. Was der russische Machthaber vor einem Jahr als militärische Spezialoperation bezeichnete, entwickelte sich zu einem Stellungskrieg, vergleichbar mit Phasen im Ersten Weltkrieg.

Die westlichen Quantitätsmedien sind voll von Kriegsrhetorik. Die Ukraine verteidige die Werte der Westens, sie müsse militärisch gewinnen. Immer wieder taucht auch mal das Ziel auf, Putin müsse als russischer Präsident abgesetzt und vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Ganz besonders kühne Überlegungen wollen eine Zerschlagung des Landes. Die gewaltigen Rohstoffvorräte des Landes sind zu verlockend…

Laut Oleksiy Danilov, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, ist das ukrainische Interesse die Auflösung Russlands. Der Sicherheitsrat wird vom Präsidenten geführt, Danilov ist seine rechte Hand. Der britischen Sun sagte er vor einigen Tagen: „Unsere Panzer werden auf dem Roten Platz sein, und das wird Gerechtigkeit sein.“ (Siehe hier!)

Der Einmarsch Russlands wird als völkerrechtswidrig bezeichnet, was formal stimmt. Dann sollte aber auch die Gegenrechnung aufgemacht werden – die von den USA geführte westliche Allianz hat alleine in den zurückliegenden 25 Jahren völkerrechtswidrige Kriege in Serbien (1999), Afghanistan (2001), Irak (2003), Syrien (2011) und Libyen (2011) geführt. Daniele Ganser gibt einen Überblick über die imperialistischen Aktivitäten der USA seit dem Zweiten Weltkrieg.

Darüber hinaus – die gerne verschwiegene Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs: Seit 1999 hat sich die Nato um 16 Mitglieder im Osten erweitert, obwohl die Einigung zwischen Ost und West im Jahre 1990 darin bestand, dass die NATO „keinen Zentimeter“ nach Osten gehen sollte (siehe u.a. hier und hier!).

2014 kam es zum Maidan-Putsch. Neocon Victoria „Fuck the EU“ Nuland zog als die seinerzeit für die Ukraine zuständige US-Diplomatin die Strippen (siehe auch hier!). Neuer Ministerpräsident wurde denn auch ihr Kandidat Arsenij Jazenjuk. In der Folge kam es immer wieder zu bewaffneten Übergriffen der ukrainischen Armee in den russisch geprägten östlichen Regionen der Ukraine. In Donezk und Luhansk fand im Mai 2014 eine Volksbefragung ab, die Mehrheit votierte für zwei autonome Volksrepubliken. Im Abkommen von Minsk II wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt, den Regionen im Donbass wurde weitgehende Autonomie in Aussicht gestellt.

Die Abkommen von Minsk hatten von westlicher Seite aus das Ziel, der Ukraine Zeit zu verschaffen für ihre Aufrüstung (siehe z.B. hier und hier!). Das geht u.a. aus Äußerungen von Merkel im Dezember 2022 hervor. Der im Mai 2019 an die Macht gekommene Schauspieler Selenskyj lehnte die Minsker Abkommen im Dezember des gleichen Jahres ab, US-Präsident Biden sagte ihm Anfang 2021 Unterstützung für eine harte Linie zu. Selenskyjs neue Militärdoktrin zielte auf eine Mitgliedschaft der Ukraine in die NATO ab. Im April 2021 eskalierte der Krieg der Ukraine gegen die Region Donezk mit über 10.000 Toten.

Im gesamten zweiten Halbjahr 2021 gab es diplomatische Kontakte zwischen dem Westen und Russland zur Beilegung der Spannungen. Ein im Oktober von russicher Seite vorgelegter Vorschlag zur Konfliktlösung wurde vom Westen abgelehnt. Im Dezember erhöhte die Nato ihre Militärpräsenz in der Ukraine zur „Ausbildung“, wie es hieß. Putin forderte von der NATO Sicherheitsgarantien für sein Land, der Westen lehnt arrogant ab. Im Februar 2022 spricht Selenskyj auf der Münchner Sicherheits-Konferenz von Atombewaffnung der Ukraine. Am selben Tag erkennt Putin zwei Regionen im Donbass als Autonome Republiken an, der Krieg beginnt.

Vieles spricht dafür, dass Russland zunächst lediglich das Ziel hatte, die Regierung in der Ukraine zu stürzen. Der Vormarsch auf Kiew geriet aber mit dem wohl unerwartet starken Widerstand der ukainischen Armee ins Stocken. Genauso wie die Strippenzieherei der USA beim Maidan-Putsch eine Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten eines Landes war, war und ist es auch die sogenannte „militärische Spezialoperation“ Russlands.

Die Ukraine ist kein demokratischer Staat, das Land zählt zu den korruptesten auf der Welt, noch dazu in den westlichen Landesteilen mit einer keineswegs zu vernachlässigenden Nazi-Strömung. Aber es ist allein Sache der Bevölkerung eines Landes, sich ihrer Machthaber zu entledigen.

Eine Initiative des damaligen israelischen Premierminister Naftali Bennett für einen Waffenstillstand schien mit erheblichen Zugeständnissen beider Seiten im März 2022 zum Greifen nahe. Die Nato-Staaten haben dies alsbald blockiert, dabei war der damalige Premier Englands Boris Johnson der Drahtzieher.

Aus der „militärischen Spezialoperation“ Russlands wurde ein Stellungskrieg. Die Ukraine kämpft stellvertretend für den Westen, bzw. die USA, hochgerüstet mit immer neuen Waffenlieferungen. Die Ukraine fordert immer noch gefährlichere und weitreichendere Waffen bis hin zu Kampfflugzeugen und geächteter Streumunition. Die westliche Rüstungsindustrie freut sich. Der Westen versucht durch immer neue Sanktionen, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Das ist bis jetzt gründlich missglückt.

Momentan spricht nichts für ein baldiges Ende des Krieges. Im Gegenteil, die Gefahr eines Weltkriegs nimmt zu, auch der Zweite Weltkrieg hatte mit regional begrenzten Kriegshandlungen begonnen. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass die nach außen vorgetragene einheitliche Meinung im Westen Risse hat. So hat vor kurzem eine Veröffentlichung der einflussreichen RAND Corporation Aufsehen erregt, die fordert, einen langen Krieg zu vermeiden.

Im Grunde könnten sich die US-Imperialisten entspannt zurücklehnen. Sie haben einen so großen Keil so tief zwischen Russand und Deutschland, bzw. West-Europa getrieben, dass aus US-Sicht wahrscheinlich auf Jahrzehnte keine wirkliche Annäherung zu befürchten ist. Dazu hat wesentlich auch die Sprengung der Nord Stream Pipelines beigetragen. Der Heartland-Doktrin ist Genüge getan. Es besteht eine Sklaven-artige Abhängigkeit Deutschlands und West-Europas von den USA (nicht nur in Energiefragen (LNG)). Die USA können sicher sein, dass sich dieser Teil der Welt nicht an den sonst festzustellenden Loslösungs-Tendenzen vom Dollar-Imperium beteiligen wird, bzw. kann.

Wie könnte ein für einige Zeit tragfähiger Waffenstillstand (oder mehr) aussehen?
Die Krim wird russisch bleiben, Russland wird auch darauf bestehen, dass deren verkehrmäßige Anbindung international garantiert wird. Donezk und Luhansk dürften Russland zugewandte autonome Volksrepubliken bleiben, wenn dies eine Volksabstimmung unter Kontrolle der OSZE bestätigt. Auch in den russisch besetzten Oblasten Saporischschja und Cherson sollten entsprechende Volksabstimmungen stattfinden mit wohl eher pro-Ukrainischem Ausgang. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ist für Russland nicht akzeptabel. Russland dürfte vermutlich nichts dagegen haben, wenn die West-Ukraine der EU als Klotz ans Bein gebunden wird. Das bringt die EU ihrem Untergang nur näher. Die wesentlichen Assets dort sind sowieso schon in US-amerikanischem Zugriff (z.B. Blackrock & Co) (Chartquelle).

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Die Hoffnung bleibt, dass es zu einem wie auch immer gearteten Waffenstillstand kommt, bevor eine der beiden Seiten sich so an die Wand gedrückt fühlt, dass es zu einer atomaren Eskalation kommt. Vor kurzem kamen diesbezüglich ungute Andeutungen aus den USA. Auch Putin hatte schon mehrfach mit taktischen Atomschlägen gedroht.

Bis jetzt 200.000 Tote auf beiden Seiten – wieviele sollen es noch werden?

[Unter Verwendung von Material aus „Künstle’s Sicht: Am 24. Februar 2022 griff Russland die Ukraine an"]

Ergänzung:
Morgen findet in Berlin eine Friedenskundgebung statt, zu der Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht aufgerufen haben. In kürzester Zeit kamen 500.000 Unterschriften unter ihr Manifest zustande, aktuell sind es über 600.000. Die Quantitätsmedien beißen sich z.B. daran fest, dass Mitglieder der AfD den Aufruf unterstützen. Manche Organe der „freien" Presse versteigen sich auch zu der Behauptung, Wagenknecht würde von Putin bezahlt.
„Das Niveau der politischen Debatte in Deutschland ist wirklich armselig und die Konformität der großen Medien in dieser Frage einer Demokratie unwürdig," so Wagenknecht in einem Interview. „Wer keine guten Argumente hat, muss es mit Emotion und Moralisierung versuchen. So funktioniert die Cancel Culture ja auch auf anderen Gebieten. (…) In Umfragen ist eine Mehrheit für Verhandlungen und gegen die Ausweitung der Waffenlieferungen. Die Menschen lassen sich von der medialen Propaganda –so muss man es ja leider nennen– Gott sei Dank immer weniger beeindrucken.“ Nach einer aktuellen repräsentativen INSA-Umfrage ergibt sich, dass die Deutschen mehrheitlich für das Manifest sind.

Nachtrag:
(27.2.23) Jeffrey Sachs hat recht: „Wir befinden uns nicht am ersten Jahrestag des Krieges, sondern am neunten Jahrestag. (…) Dieser Krieg begann wegen der Nato-Erweiterung, der US-Beteiligung an einem Putsch und der massiven Aufrüstung der Ukraine – dann folgte die schreckliche Invasion Russlands und die weitere Eskalation. Dieser Krieg muss aufhören, bevor er uns alle in ein nukleares Armageddon führt. Wir müssen die Wahrheit sagen. Beide Seiten haben gelogen, betrogen und Gewalt ausgeübt. Beide Seiten müssen zurückweichen. Die Nato muss aufhören zu versuchen, sich bis in die Ukraine und nach Georgien hinein zu erweitern. Wir müssen die roten Linien beider Seiten beachten, damit die Welt überlebt.

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