Eurozone: Zusammenbruch nahe?

Die EZB hat gestern ihre Liquiditätsversorgung für einige griechische Banken gestoppt, die sie für nicht länger solvent hält. Welche Banken betroffen sind, wurde nicht mitgeteilt. Seit Tagen plündern die Griechen ihre Konten, um ihre „schönen Euros“ in Sicherheit zu bringen. Dem Vernehmen nach sollen schon Hunderte von Millionen Euro abgezogen worden sein.

Gleichzeitig wachsen die internationalen Bedenken in Hinblick auf Neuwahlen in dem Krisenland, weil damit gerechnet wird, dass die Gegner der Sparprogramme die Oberhand bekommen. Am 17. Juni ist der neue Wahltermin, bis dahin gibt es eine Notregierung.

Das Thema „Griechenland“ wird ganz oben auf der Tagesordnung des G8-Gipfels am kommenden Wochenende stehen.

Mehr noch als den Austritt Griechenlands aus der Eurozone befürchtet etwa Weltbank-Präsident Zoellick die mögliche Ansteckung von Italien, v.a. von Spanien mit seinen schwachen Banken. Es werden Parallelen zur Kaskade nach der Lehman-Pleite gezogen. Und IWF-Chefin Lagarde warnte vor „extrem teuren“ Konsequenzen eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone. Es würde nicht nur für die Griechen hart.

Bond-Renditen von Spanien und Italien sind mittlerweile wieder dort angekommen, wo die EZB im vergangenen Jahr ihr Bond-Ankauf-Programm wieder gestartet hatte. Die spanischen CDS notieren jetzt höher als Anfang Dezember 2011, als man schon einmal das Ende der Eurozone nahe sah und dann auf die Idee mit dem Merkelschen Spardiktat verfiel.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Chart der Commerzbank, der den Zusammenhang zwischen spanischen CDS und dem Goldpreis zeigt – über einen längeren Horizont ein beeindruckender Gleichlauf. Das zeigt auch, dass Bedenken hinsichtlich Staatsverschuldung einer der den Goldpreis treibenden Faktoren ist.

Einer Umfrage zufolge wollen 78,1% der Griechen in der Eurozone bleiben. Falls es zu Neuwahlen kommt, wollen die beiden bisherigen Regierungsparteien diese zu einem Referendum über die Mitgliedschaft in der Eurozone machen. Auch die politischen Kräfte, die gegen das Spardiktat sind, wollen zum großen Teil, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Politbürokraten aus Brüssel und anderswo bestehen auf Einhaltung der Verträge, lediglich über einige Terminverschiebungen könne man reden. Nichtsdestotrotz sind weitere Finanzhilfen aus Brüssel bis zu den Neuwahlen gesichert.

Am 15. Mai wurden vor zehn Jahren emittierte, variabel verzinsliche Floating-Rate-Notes im Volumen von 463 Mill. Euro fällig. Die Anleihen unterliegen nicht griechischem, sondern ausländischem Recht. Griechenland hat eine enge Frist, zu entscheiden, wie man sich verhält.

EZB-Präsident Draghi sagt, es sei nicht seine Aufgabe, zu entscheiden, was mit Griechenland geschieht. Seine Präferenz sei zwar das Verbleiben des Landes in der Eurozone, aber die EU-Verträge sehen für den Austritt eines Landes nichts vor. Die EZB müsse daher in dieser Situation vor allem auf die Integrität ihrer Bilanz achten.

Die EZB sieht die Verantwortung für die Finanzierung der notleidenden griechischen Banken über die sogenannte „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA) so lange bei der griechischen Zentralbank, bis diese ihre Kapitalausstattung ausreichend gestärkt haben. Danach könnten sie wieder an den standardmäßigen Refinanzierungsoperationen des Eurosystems teilnehmen. Das im März endgültig beschlossene 130 Mrd. Euro schwere Rettungspaket beinhaltet auch einen 50 Bill. Euro großen Topf, aus dem die griechischen Banken rekapitalisiert werden sollen.

Die EZB untersucht und bewertet zur Zeit ihren „Werkzeugkasten“. Hierzu gehören auch die LTRO-Maßnahmen und das Bond-Kauf-Programm. Das werde bis Juni oder Juli dauern, heißt es. Die gegenwärtigen Marktspannungen sollen wohl auch die Politik zwingen, Lösungen zu entwickeln. Draghi hatte schon vor einiger Zeit gesagt, mit den LTROs hätte er seinen Beitrag geleistet, jetzt sei die Politik wieder am Zuge.

Lorenzo Bini-Smaghi schreibt in der FT, es sei richtig, dass die EU mit harten Bandagen kämpfe. Erstens heißt es zu Recht „pacta sunt servanda“ – Verträge müssen eingehalten werden. Ansonsten könnte man die EU auch gleich vergessen… Der zweite Grund ist, „Moral Hazard“ zu vermeiden. Wenn man den griechischen Anti-Austerity-Parteien nachgebe, verlangten das andere in anderen Ländern auch. Wenn Griechenland die Eurozone verlässt, müsse gehandelt werden. Die Eurozone müsse dazu ihre Institutionen stärken und über Nacht so etwas wie das amerikanische TARP-Programm (nach der Lehman-Krise) einführen.

Was der Italiener da zu „pacta sunt servanda“ sagt, ist ein Witz. Damit hätte die EU mal viel früher anfangen sollen. In den Verträgen, die die Grundlage der EU bilden, steht z.B. etwas davon, dass kein Land aus finanzieller Misere herausgehauen werden darf. Usw., usw….

Auf Spiegel Online schreibt Wolfgang Munchau, angenommen, es gelingt, die Griechen dahin zu bekommen, dass sie "freiwillig" gehen, so sei folgendes Szenario vorherzusehen: „Binnen Stunden, Tagen oder weniger Wochen würde es zu einer Massenkapitalflucht aus Portugal, Spanien und Italien kommen. In Griechenland hat der Bank-Run schon eingesetzt.“

Das EU-Recht erlaubt keine Kapitalverkehrskontrollen. Stoppt man die Kapitalflucht dennoch, wird weiteres europäisches Recht gebrochen. Man könnte die Kapitalflucht aber auch durch entschlossenes Handeln stoppen, schreibt Münchau.

Das beinhalte im Einzelnen: Man führt Eurobonds ein, zusammen mit einem europäischen Bankenrettungsfonds, die EZB legt ein grenzenloses Aufkaufprogramm für Staatsanleihen auf, gleichzeitig setzt sie ihr Inflationsziel von zwei auf vier Prozent hoch, Schäuble wird nicht nur Euro-Gruppen-Chef, sondern auch europäischer Finanzminister, es wird eine Fiskalunion beschlossen mit gemeinsamen Haushalt und gemeinsamer Steuerhoheit, das Bundesverfassungsgericht gibt seinen Irrtum zu und sieht jetzt die EU als Hort aller Souveränität.

Wenn das alles innerhalb von 24 Stunden in Kraft gesetzt werde, sei die Euro-Krise vorbei. Münchau weiß natürlich, dass das alles eine Wahrscheinlichkeit von „deutlich unter 100 Prozent“ hat. Anzufügen wäre, dass es auch hier „pacta sunt servanda“ gibt – so gut wie nichts geht ohne langwierige juristische Prozesse bis hin zu Volksabstimmungen. Und beim Thema "Bundesverfassungsgericht" irrt nicht das BVG, sondern Münchau.

Münchau forscht nach den Motiven der „Griechen-Raus-Lobby“: Bewusstes Hinsteuern auf den Zusammenbruch des gesamten Euro-Raums über lutherische Selbstgerechtigkeit bis hin zu kurzfristigem Polit-Pragmatismus, indem sich die Politik der gegen Griechenland pöbelnden Masse beugt?

Zu den Motiven von Merkel & Co bei der „Eurorettung“ ist sich Münchau aber sicher: Merkel will vermeiden, vor der Bundestagswahl 2013 zwischen Fiskalunion mit Eurobonds und Auseinanderbrechen der Eurozone entscheiden zu müssen. Sie spielt auf Zeit. Die Zeit arbeitet jetzt aber „brutal“ gegen diese Linie, so viel ist sicher.

Ich glaube nicht, dass die Politbürokratie der Eurozone einen Austritt Griechenlands wirklich zulässt. Sie wird in gewohnter Manier immer gerade so viel tun, dass es „klappt“ – entschlossenes Handeln ist ihre Sache eben nicht. Und dabei wird die EZB mitspielen. Draghi ist schon längst auf die Linie der „finanziellen Repression“ eingeschwenkt. Das gilt auch für die Bundesbank. Das Verhindern von Staats- und Bankenpleiten steht bei ihm oben an. Das macht erpressbar. Und es wird erpresst… Die „Märkte“ wollen „alles“. Nachdem die hochverschuldeten Staaten nicht mehr können, muss die EZB ihre Schleusen immer weiter aufreißen.

Nennen Sie es "Erpressung", nennen Sie es "Sachzwang". Es stimmt, was Polleit schreibt: Ein durch Fiat-Geld in Gang gesetzter Boom lässt sich nur durch immer mehr Kredit und Geld, begleitet von immer tieferen Zinsen, aufrechterhalten.

Vom G8-Treffen am Wochenende werden starke Signale erwartet.

Übrigens – Münchau hat noch einen „Anlagetipp“ bereit: „Ich kenne reiche Italiener, die ihr Geld schon seit langem ins Trockene gebracht haben, in die Schweiz, und zwar ganz legal. Sie melden die Zinsen dem italienischen Finanzamt. Bislang handelt nur eine kleine Minderheit so – Leute, die eine gewisse Nähe zu den Finanzmärkten haben.“

Nachtrag:
(24.5.12) Die Citibank zur Situation nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone, für den sie eine Wahrscheinlichkeit von über 70% innerhalb der nächsten beiden Jahre sieht: „Greece’s new currency will immediately fall 60% versus the euro and remain depreciated by 50-60% for the next five years. Greece will immediately suspend interest payments on all government debt. But — in order to defer the recognition of losses among official creditors and as part of the package of EU/IMF cooperation post-Grexit — government debt will not be redenominated or written off immediately. With the new currency weakening and government debt largely in euros, the general government debt/GDP ratio will soar to about 400% in 2013. We pencil in eventual debt restructuring for 2015, aiming to cut the debt/GDP ratio to the EMU average (which at that stage will be about 95%) — and this will require large debt writedowns — probably covering both publicly held and privately held debt. Under these assumptions, we expect that Greece’s real GDP will fall by about 10% in 2013, with an eventual rebound of 4-5% YoY in 2015-16 as gains in cost competitiveness revive exports, especially tourism.” (nach Eurointelligence)

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