Euro-Krise: Politik kontra Markt

Warum stehen europäische Banken drei Jahre nach dem offenen Ausbruch der Kreditkrise vor der nächsten „Rettung“? Weil es die europäische Politik versäumt hat, darauf zu dringen, ihre offensichtliche Unterkapitalisierung zu beheben.

Warum hat das die politische Politik versäumt? Weil sie die Banken dazu brauchte, die Staatsschulden der Eurozonen-Länder zu kaufen, die besonders mies gewirtschaftet hatten.

Warum haben diese Länder besonders mies gewirtschaftet? Weil sie viel zu früh in das einheitliche Währungssystem namens Euro aufgenommen wurden und sie vom für sie viel zu niedrigen Leitzins zur übermäßigen Verschuldung „verführt“ worden sind.

Einer der grundlegenden Konstruktionsfehler der Eurozone war: Ungleiche Volkswirtschaften wurden in einen einheitlichen Währungsraum mit einheitlichem Zinssatz, aber uneinheitlicher Fiskalpolitik integriert. Der politische Wille wurde über wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten gestellt. Das war der Kardinalfehler, der weitere Schieflagen bedingte. dabei war der Kardinalfehler nicht einmal die gemeinsame Währung, sondern die gemeinsame Geldpolitik. Die gemeinsame Währung hat dann wesentlich dazu beigetragen, die negativen Folgen der gemeinsamen Geldpolitik lange Zeit zu verschleiern.

Einmal auf diesem Weg, wurden nach und nach alle (guten) Vorsätze (in Gestalt z.B. der Maastrichter Verträge) mit Füßen getreten. Das ging so lange gut, so lange „draußen“, in der Weltwirtschaft, schönes Wetter war – die Webfehler fielen da nicht weiter ins Gewicht. Die unterschiedlich hohe Verschuldungsquote in den einzelnen Eurozonen-Mitgliedsländern spiegelte sich –nivelliert durch die einheitliche Währung- nur unzureichend in Renditedifferenzen wider.

Dann brach der Sturm der Finanzkrise los und die Webfehler der Eurozone stellten sich als so gravierend heraus, dass das Geflecht als Ganzes zu zerreißen drohte. Banken mussten alimentiert werden. Das gab es auch in anderen Währungsräumen. Doch anders als etwa im Dollar-Raum, wo die staatlichen Hilfen dazu eingesetzt wurden, die Banken selbst zu stabilisieren und ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen, dienten die öffentlichen Mittel zur Stützung der Banken in der Eurozone nicht zu deren Stärkung.

Denn als die Tage der größten Not vorüber waren, begannen die Banken, Staatsanleihen aus den PIIGS-Ländern zu kaufen. Die Renditedifferenzen innerhalb der Eurozone stiegen nämlich allmählich an, das versprach ein gutes Geschäft.

Damit war absehbar, was geschehen würde. Die Wachstumsdynamik des „Crack-up-Booms“ nach dem Herbst 2008 hielt nicht lange genug an, um die Verschuldungsproblematik der Eurozone „von selbst zu heilen“. Wichtiger: Der ökonomische Druck (und damit der politische Wille) hierzu fehlte, weil entgegen der „no bailout“-Klausel der Maastrichter Verträge beizeiten alle möglichen Rettungsschirme aufgespannt wurden. Zudem wirkte der einheitliche Währungsraum weiterhin verzerrend auf die Renditedifferenzen der einzelnen Länder.

Und so landet die Staatschuldenproblematik der PIIGS über die mit notleidendenden Staatsanleihen überladenen Bilanzen der nach wie vor (und jetzt erst recht) unterkapitalisierten europäischen Banken mit Wucht und zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt wieder bei der Politik der Eurozone. Die hatte bisher schon ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt, mit der Krise umzugehen. Jetzt träumt sie von der Hebelung der EFSF als der „ultima ratio“.

Die Staatsschulden-Krise der Eurozone ist letztlich eine Folge des Geburtsfehlers der Eurozone, der eine Missachtung wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten nach der anderen nach sich zog.

Man kann wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten politisch, bürokratisch oder in gutem Glauben behindern, sie wirken dennoch weiter. Früher oder später brechen sie sich Bahn. Um das zu verhindern, muss man die nächste bürokratische Hürde aufbauen. Usw. Die Maßnahmen und Mittel, um einen Dammbruch zu verhindern, müssen immer rigider (bzw. größer) werden.

Aber genauso wenig, wie die Politik in Brüssel oder anderswo beschließen kann, dass die Schwerkraft fortan nicht mehr gilt, kann sie wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten umgehen. Ja, die Brüsseler Politik könnte uns alle mit einem irren Aufwand in einen Parabelflug stecken und damit sich und uns für kurze Zeit vorgaukeln, dass die Schwerkraft nicht mehr gilt. Die Landung wird hart, das Erwachen aus dieser Illusion schrecklich.

Genauso ist es mit dem Schulden-Drama.

Die Politik mischt sich in immer größerem Umfang in die operative Ebene der Wirtschaft ein, sei es in dem besonders schweren Fall bei der Schaffung der Eurozone und den Nachfolgefehlern, sei es mit der Stützung der Banken, sei es mit Keynesianischen Anreizprogrammen. (Hier kommen auch die USA wieder ins Spiel.) Um sich greifende Bürokratisierung behindert die freie Initiative der Marktteilnehmer immer stärker. Damit aber sinken u.a. auch die Verdienstmöglichkeiten der Unternehmen und damit auch die der arbeitenden Bevölkerung.

Der wachsende Einfluss der Politik auf der operativen Marktebene macht Wirtschaftssysteme zunehmend ineffizienter. Der freie Markt aber ist in entwickelteren Gesellschaftsformen eine zentrale Bedingung für ein effizientes Wirtschaften. Mehr noch: Der freie Markt liefert die Grundlage für eine evolutionäre Entwicklung, in deren Verlauf zwar die am wenigsten tauglichen Wirtschaftssubjekte scheitern, die Vielfalt der Marktteilnehmer und ihrer Geschäftsmodelle aber nicht eingeschränkt wird. Die Erhaltung der Vielfalt, ein genügend großer Vorrat an Varianten, aber ist zugleich die Bedingung für die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen.

Ich bin kein Neo-Liberaler. Der freie Markt braucht einen festen ordnungspolitischen Rahmen. Dieser Rahmen muss vom Staat geschaffen und garantiert werden, der sich ansonsten weitgehend aus der operativen Ebene heraushalten soll. Der Rahmen soll so konstruiert sein, dass er die einzelnen Antriebe der Marktteilnehmer kanalisiert. Ihr Erfolg soll belohnt werden, ihr Wirken soll dem Gemeinwohl mehr nutzen als schaden.

Der freie Markt ist die notwendige, der staatlich gesetzte Rahmen die hinreichende Bedingung für ein effizientes Wirtschaftssystem.

Von diesem Ideal haben wir uns weit entfernt, in Europa vielleicht noch weiter als in den USA, auf jeden Fall aber länger. Und wir entfernen uns täglich weiter.

Das wird an nichts deutlicher als an der Tatsache, dass sich die Finanzindustrie in ihrer Gesamtheit von einer der Realwirtschaft dienenden Funktion hin zu einem parasitären Dasein entwickelt hat, das mit Hinweis auf „Systemrelevanz“ dem Staat Mittel abpresst, die zuvor von den Wirtschaftssubjekten des Landes geschaffen wurden.

Das Artikelbild (Wikipedia) zeigt eine Waage – Symbol für Ausgleich der Kräfte.

Nachtrag:
(20.10.11) EU-Binnenmarktkommissar Barnier will es einem Bericht der FTD zufolge Ratingagenturen künftig notfalls verbieten, Urteile über kriselnde EU-Länder zu veröffentlichen. Die neue Wertpapieraufsicht ESMA soll das Recht erhalten, die Veröffentlichung von Einschätzungen über die Zahlungsfähigkeit „vorübergehend zu untersagen“. {Ich lach’ mich kaputt… Manchmal liegen Tragik und Komik dicht beieinander, manchmal fällt beides auch mit Schwachsinn zusammen}

(28.1.12) Eine gute Zusammenfassung und Diskussion der Beiträge von Mundell, McKinnon und Kenen zum Thema, welche Merkmale potenzielle Teilnehmer an einer Währungsunion erfüllen sollten, damit diese erfolgreich sein kann: "An Optimum Currency Area Odyssey"

(18.9.15) Der Ökonomieprofessor Wynne Godley hat bereits im Oktober 1992 in der «London Review of Books» unter dem Titel «Maastricht and all That» die Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion aufgezeigt. Sie war damals noch Zukunftsmusik. Seine Kernthese: Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion geben ihre geld- und wirtschaftspolitische Souveränität auf. Sie können ihr Zinsniveau nicht mehr an die Gegebenheiten des Landes anpassen oder damit steuern. Sie verlieren ebenso die Möglichkeit, ihre Währung abwerten zu können, ein wichtiges Korrektiv fehlt. Dafür muss als Ersatz innerhalb eines einheitlichen Fiskalgebildes ein Mechanismus geschaffen werden, der über geordnete Zahlungs-Transfers wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsländern eindämmt. Anderenfalls stehe in Zeiten einer Wirtschaftskrise die europäische Integration auf dem Prüfstand, schreibt Godley. Er starb 2010 – in dem Jahr, in dem die Griechenlandkrise offen ausbrach.

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