Auswirkungen der Katastrophe in Japan auf die globale Lieferkette

Die japanische Regierung hat den AKW-Störfall nun in die höchste Stufe einordnet und damit als Super-GAU wie seinerzeit in Tschernobyl. Zudem wurde die Evakuierungszone auf 40 km verdoppelt. Das war überfällig, aber machte doch noch einmal klar, dass sich die Erholungsaussichten in Japan angesichts der neuen Erdbeben und der weitergehenden Atomkrise eintrüben, zumindest aber deutlich verzögern könnten.

Das könnte auch die internationale Versorgungskette und damit die Wachstumsaussichten beeinträchtigen. Das gilt in besonderem Maße für die Elektronik. Insbesondere der US-Halbleiter-Index SOX reagierte auf solche Befürchtungen zuletzt mit einem scharfen Rückzug.

War noch vor einigen Tagen eher gesehen worden, dass der japanische Wiederaufbau Chancen bietet, steht jetzt die pessimistische Variante mental im Vordergrund. So ist das manchmal an der Börse – ein und dieselbe Situation führt zu unterschiedlichen Reaktionen. Oder anders herum: Die „Märkte“ kamen nicht mehr voran (S&P 500 scheiterte an 1330/1333) und schon machen (festgefahrene) Kurse (negative) Meinungen.

Die Marktforscher von IC Insights rechnen damit, dass sich das globale BIP-Wachstum als Folge der Katastrophen in Japan für 2011 um 0,5 auf dann 3,4 % reduziert, bzw. um absolut 260 Mrd. Dollar. Das würde auch zu einer leichten Abkühlung der Elektronik- und Halbleitermärkte führen. Der Effekt sei aber nicht von langer Dauer, das Wachstum für „elektronische Systeme“ sollte immer noch bei 8,5 % y/y liegen. Die Marktforscher schränken zwar ein, das sei eine vorläufige Sicht, weil die Konsequenzen für die weltweite Lieferkette noch immer schwer überschaubar seien. Selbst bei stärkeren Auswirkungen hält man die entstehende Delle aber nur für vorrübergehend, sprich, spätestens 2012 wäre sie wieder ausgebügelt.

Die Preise für DRAMs und Flash-Speicher sind seit der Katastrophe um 20 bis 30 % gestiegen, obwohl die großen Fabs von der Katastrophe kaum betroffen sind. Das wird darauf zurückgeführt, dass viele Unternehmen Lieferengpässe befürchten und deshalb Sicherheits-Lager anlegen. Diese Situation hatte dem SOX eine zeitlang Rückenwind gegeben.

Japan produziert etwa 10 % aller elektrotechnischen und elektronischen Güter weltweit und ist damit nach China und den USA der drittgrößte Hersteller. Die deutsche Elektronindustrie exportiert Waren im Wert von 2,5 Mrd. Euro p.a. nach Japan, eingeführt werden 8 Mrd. Euro (6 % der gesamten Elektroimporte). Damit ist Japan der drittgrößte Lieferant solcher Waren für den deutschen Markt.

Japans Anteil am globalen Halbleiter-Markt (Volumen in 2010 ca. 320 Mrd. Dollar)  beträgt knapp 25 %. Zum Vergleich: Taiwan kommt auf 30 %, Europa auf 8 %. Die Marktforscher von Future Horizons schätzen die Exportquote der japanischen Chip-Industrie auf 50 %. Davon gehen 65 % nach Südost-Asien, 25 % in die USA, sowie 10 % nach Europa.

Der Blick auf die Verfügbarkeit von Halbleiter-Chips alleine ist verkürzt. Die Chemie-Industrie z.B. ist ein wichtiger Zulieferant der Chip-Industrie. Die hier üblichen Prozesse benötigen häufig eine stabile Versorgung mit Strom, die zurzeit nicht nur in den direkt betroffenen Regionen in Japan nicht gewährleistet ist. Beobachter sehen Versorgungsprobleme z.B. bei chemischen Bestandteilen für Chip-Gehäuse. Einer dieser Bestandteile wird v.a. in Japan hergestellt.

Silizium ist das wichtigste Rohmaterial für Chips. Japanische Unternehmen halten hier einen Weltmarktanteil von über 50 %. Zudem kommen wichtige Fertigungsmaschinen für Chips aus Japan, etwa Lithografie-Geräte. Oftmals sind „nur“ Zulieferer in der Erdbebenregion angesiedelt, die End-Fertigung liegt im Süden Japans. Aber die (Liefer-)Kette reißt am schwächsten Glied…

Man rechnet mittlerweile (noch) damit, dass es bis zu drei Monate dauern könnte, bis Lieferanten aus Japan wieder im normalen Umfang liefern können. Aber es gibt für praktisch alle Komponenten, Materialien und Maschinen alternative Quellen in Europa und in den USA (auch Korea und Taiwan). Da die großen Elektronikhersteller zudem mit Lagerreichweiten von zwei bis drei Monaten operieren, treten Versorgungslücken zunächst nicht auf.

Die Katastrophe in Japan fällt zudem in das saisonal eher ruhigere erste Halbjahr. Das schafft genauso (leichte) Entspannung wie die Tatsache, dass Japan bei keinem Chip, Gerät oder Material weltweiter Alleinlieferant ist. Auch der hohe Ölpreis könnte in seiner temporär dämpfenden Wirkung auf die globalen Wirtschaftsaktivitäten abmildernd wirken.

Allgemein geht man davon aus, dass die Belastung durch die Mehrfach-Katastrophe begrenzt bleibt, wenn es gelingt, Engpässe in der japanischen Infrastruktur bis zur Jahresmitte zu beheben. Anderenfalls sind die Auswirkungen deutlich größer, weil dann mangelnde Lieferfähigkeit auf leere Lager trifft.

Am stärksten betroffen von den wie auch immer gearteten Folgen der Katastrophe ist Asien. So gehen z.B. zwei Drittel der japanischen Chip-Exporte nach Südost-Asien. Thailand, Taiwan und Süd-Korea sind besonders abhängig von Importen aus Japan von elektrischen und Halbleiter-Komponenten, sowie von Investitions-Gütern. Thailand, China und Malaysia sind abhängig von japanischen Transport-Ausrüstungen. Thailand, China und Süd-Korea sind stark von japanischen Auto-Teilen abhängig. Die Hälfte aller Plastik-Importe (u.a. auch für Chip-Gehäuse) nach Taiwan kommt aus Japan, sowie 40 % von Maschinen und 30 % von chemischen, Eisen- und Stahl-Erzeugnissen.

Aber auch in dieser Region geht man davon aus, dass zwar im zweiten und auch noch im dritten Quartal das BIP-Wachstum durch „Japan“ gebremst wird. In der Folge wird es aber einen mindestens kompensierenden Nachholeffekt geben. China, Süd-Korea, Taiwan und Singapur können über zwei Wege sogar profitieren: Asiatische Unternehmen, die auf japanische Lieferungen angewiesen sind, müssen sich umorientieren und kaufen in diesen Ländern. Zudem dürften diese versuchen, die Lücke, die durch die ungenügende Lieferfähigkeit japanischer Anbieter entsteht, etwa im Kfz-Geschäft, zu besetzen und damit ihren Marktanteil zu steigern.

Bis andere Hersteller auf der Welt die Lücke füllen können, die z.B. durch die mangelnde Lieferfähigkeit von Halbleiter-Chips und Materialien für die Chip-Industrie aus Japan entsteht, vergehen mindestens acht Wochen, teilweise sind es auch Monate. Die Fertigungskapazitäten bei Chips sind nicht eben im Überschuss vorhanden – die Auslastung war auch vorher relativ gut, zudem sind die Kosten für Erweiterungs-Investitionen sehr hoch. Da stellt sich dann auch die Frage, was künftig nicht mehr produziert wird. In jedem Fall dürften Hersteller durch steigende Preise motiviert werden, in die Bresche zu springen.

Alles in allem gesehen, wird die Katastrophe in Japan wahrscheinlich keine nachhaltigen Folgen für die Weltwirtschaft haben. Dabei muss immer unterstellt werden, dass die radioaktive Kontamination lokal bleibt. Eine deutliche Ausdehnung, erst recht bis in den Tokioter Raum, würde das Bild grundlegend zum Negativen hin ändern.

Das Land muss wieder aufgebaut werden. Die Risikoanalysten von RMS schätzen die Kosten von Erdbeben und Tsunamis in Japan für Versicherer auf bis zu 34 Mrd. Euro. Die Risikoanalysten von AIR Worldwide gehen von bis zu 30 Mrd. Dollar, die von Eqecat von bis zu 25 Mrd. Dollar aus. Die japanische Regierung schätzte 10 Tage nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. Mrz die direkten Schäden auf 15 bis 25 Bill. Yen. Der Schaden würde damit deutlich die Kosten des Erdbebens von 1995 in Kobe übersteigen, die rund 10 Bill. Yen betragen hatten.

Die zum Wiederaufbau des Landes benötigten Güter und Dienstleistungen werden zu einer wirtschaftlichen Belebung in Japan führen. Vermutlich wird Japan dabei auch auf Lieferungen aus anderen Länder angewiesen sein, wodurch diese im Zuge des Wiederaufbaus ebenfalls profitieren.

 
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