Die EU wird zur Transfer-Union

Schlagzeile im Internet: „Merkel beteiligt sich an Euro-Rettung“ – als ich die las, freute ich mich. Endlich mal jemand, der was tut für unseren Euro – unsere „Mutti“. Doch die Enttäuschung war groß – im zugehörigen Artikel wurde klar gestellt, dass Merkel zur Rettung des Euro das Geld des deutschen Steuerzahlers in die Hand nimmt, nicht ihr eigenes.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich gestern auf ein Paket zur Überwindung der Euro-Schuldenkrise geeinigt. Der EFSF soll ab Juni eine effektive Kapazität von 440 Mrd. Euro haben, bisher kann er bei Einhaltung der Best-Ratings von „AAA“ maximal 250 Mrd. Euro ausleihen. Dazu gehört auch ein neuer Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, eine Schärfung des Euro-Stabilitätspaktes und die Finanzausstattung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM, der 2013 Nachfolger des EFSF werden soll. Wie die Euro-Staaten den Rückhalt für den EFSF so stärken, dass die angestrebte Kreditsumme von 440 Mrd. Euro abgesichert wird, das soll auf einem EU-Gipfel im Juni geklärt werden.

Den permanenten, 700 Mrd. Euro schweren Krisenfonds ESM sollte es nur geben, wenn die Wirtschaftspolitik im Euroraum künftig deutschen Prinzipien folgt, hatte Merkel versprochen und vor einigen Wochen die Partnerländer mit ihrem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ geschockt. Mittlerweile ist das Vorhaben so verwässert worden, dass er als „Pakt für den Euro“ ausreichend unverbindlich ist. Da hat jedes EU-Mitglied gerne zugestimmt.

Merkel hatte weiter versprochen, dass der ESM kein Geld kosten werde. Nun fällt eine Bar-Leistung von insgesamt 22 Mrd. Euro an, zusätzlich zu Garantien oder abrufbarem Kapital in Höhe von voraussichtlich 170 Mrd. Euro.

Merkel hatte im Vorfeld des EU-Gipfels schließlich auch versprochen, es werde keine Vergemeinschaftung von Staatsschulden in Europa geben. In Brüssel wurde beschlossen, dass der ESM u.a. direkt Staatsanleihen von EU-Krisenländern kaufen darf. Was aber ist der Kauf von Staatsanleihen mit dem Geld anderer anderes als eine solche Vergesellschaftung? Zudem wird dadurch der Markt ausgeschaltet. Länder, die sich stärker verschuldet haben als sie vertragen konnten, werden nicht mehr mit hohen Zinsen bestraft, sondern mit Geld zu Vorzugszinsen belohnt.

Man mag einwenden, dass der Euro-Stabilitätspakt nun etwas stärker ausgestattet worden ist, aber bei Verstößen gibt es auch weiterhin keine automatischen Sanktionen. Damit ändert sich in der Praxis nichts. Und die Auflagen des Fonds, die dieser an die Vergabe von Rettungsgeld knüpft, sind vielleicht schmerzlich. Aber da (wie auch sonst alles in Brüssel) auf politische Schacherei abgestellt ist, sind diese allemal leichter zu verkraften als hohe Zinsforderungen der Kapitalmärkte.

Die Euro-Währungsunion wird nun zur Transferunion. Zwar gab es in der EU schon immer Finanztransfers, z.B. Agrarsubventionen oder die Strukturhilfen (mit denen dann z.B. in Portugal jeder Feldweg asphaltiert wurde…). Schlimm genug – aber immerhin waren solche Transfers Projekt-gebunden und ihre Summe festgelegt. Aber jetzt erreichen die Transfers unkalkulierbare Größenordnungen.

Mit Solidarität hat das nichts zu tun. Hier hilft nicht der Reiche dem Armen, sondern im Zweifelsfall muss der Arme, der solide gewirtschaftet hat, für den Reichen haften, der unverantwortliche Schulden angehäuft hat.

Noch schlimmer – über konkrete Hilfsaktionen wird nicht mehr im Einzelfall auf höchster politischer Ebene entschieden, sondern in irgendeiner bürokratischen Einheit – ganz so, als ginge es in einer Buchhaltung darum, die monatlichen Löhne und Gehälter auszuzahlen. Sie werden der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen, werden zur Routine – bis der Topf leer ist.

Der frühere Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, kritisiert die Ankäufe von Staatsschuldtiteln: Anleihekäufe binden sehr viel Geld, bringen wenig Entlastung und sind mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. Das wichtigste Recht eines Parlaments, über die staatlichen Finanzen zu entscheiden, wird ausgehöhlt, "…wenn wesentliche Entscheidungen in demokratisch nicht ausreichend legitimierten europäischen Institutionen fallen,“ sagte Issing. Er hat recht.

Und schon steht der nächste Kandidat zur Rettung an. Portugal dementiert zwar weiterhin, Hilfe aus Brüssel in Anspruch nehmen zu müssen. Aber das Land ist zerstritten über einen Sparkurs und mittlerweile ohne Regierung. Die mögliche EFSF-Hilfe für Portugal wird auf 75 Mrd. Euro taxiert. Und in Spanien steigt die Nervosität, da spanische Banken stark in Portugal engagiert sind.

Überhaupt „Spanien“: Nach Angaben von Eurointelligence schätzt der Gründer der größten Immobilien-Web-Seite in Spanien den Kapitalbedarf spanischer Banken auf 80 bis 100 Mrd. Euro (6 bis 8 % des BIP). Die spanische Zentralbank geht von 15,2 Mrd. Euro aus. Die Differenz wird damit erklärt, dass die Immobilien-Portfolios der Banken großteils noch zu Preisen vor der Krise bewertet sind, die aktuellen Preise liegen aber rund 40 % tiefer.

Erinnern Sie sich noch, wie der Euro im ersten Halbjahr 2010 anlässlich der Griechenland-Krise abstürzte und erst knapp unter 1,20 gegen den Dollar Halt fand? Als es im November in Irland „brannte“, fiel Euro/Dollar zwar auch noch, aber die Reaktion blieb doch moderat. Jetzt haben sich die „Märkte“ wohl so sehr an den Zustand der Euro-Zone gewöhnt, dass eine Währungsreaktion auf Portugal bisher ausgefallen ist. Aber wir können sicher sein, dass die „Märkte“ alsbald daran gehen werden, die jetzt in Brüssel getroffenen Vereinbarungen einem intensiven Test zu unterziehen – so nach dem Motto, die vereinbarten Summen wollen wir sehen.

Im Kern geht es bei den diversen EU-Rettungstöpfen immer nur um eines: Die Rettung der europäischen Banken. Diese argumentieren, sie würden sich ja gerne per „Haircut“ an der Sanierung der notleidenden Schuldnerländer beteiligen – nur jetzt passt es gerade jetzt überhaupt nicht, später vielleicht, viel später. Zunächst müssten sie mal die Kapitalanforderungen von Basel III erfüllen, und das kann dauern (bis 2020).

Und vorher ist ja noch der Stress-Test der EU, dessen Ergebnisse im Sommer veröffentlicht werden sollen. Ich würde mich nicht wundern, wenn dieser dieses Mal, anders als im Vorjahr, erhebliche Probleme offenbart. Nicht weil man nicht schon wieder einen Test machen wollte, der nur die Bezeichnung „Betrug“ verdient, sondern weil man damit schön untermauern kann, wie notwendig der permanente Krisenmechanismus ESM ist und wie wenig sich die Banken einen „Haircut“ leisten können.

Standard & Poor's hat schon mal einen Stress-Test gemacht und 99 Finanzinstitute (Anteil von 70 % an der europäischen Bankenbranche) unter die Lupe genommen: In einem Szenario eines „steilen wirtschaftlichen Abschwungs“ in den Jahren 2011 bis 2015 müssten sich alleine 22 Institute 161 Mrd. Euro frisch besorgen, um mit einer Kernkapitalquote von sieben % Zweifeln an ihrer Liquidität zu begegnen. Insgesamt würde ein solches Szenario bei den europäischen Banken einen Kapitalbedarf von bis zu 250 Mrd. Euro auslösen. Am stärksten betroffen wären griechische, irische, spanische und portugiesische Institute. Zugleich würde die Schuldenaufnahme der EU-Staaten in diesem Fall binnen fünf Jahren um mehr als 20 % steigen.

Was folgt aus der politischen Betrachtung für den Anleger? Die Willfährigkeit der Brüsseler Politbürokraten ist ein weiteres Signal an das Finanzsystem, dass man jede Liquidität bereit stellt, die benötigt wird. Damit lässt sich herrlich „zocken“ und die Assetpreise weiter hoch treiben.

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